Mein persönliches Highlight: VOX - das perfekte Dinner

Wen es interessiert, wie ich die Produktionszeit des "perfekten Dinners" auf VOX erfahren wird hier fündig. Der Produktionszeitraum für die Sendewoche vom 05. bis 09. März war gleich zu Anfang des Jahres - also etwa acht Wochen vor der Sendung.

Mit meinem Gastgebertag am Freitag endet eine anstrengende Woche und vorerst auch dieser Blog. Zu einem Stern habe ich es zwar nicht gebracht, aber kochen, das hab ich gelernt.

Dienstag, 30. November 2010

43. Der frühe Fisch, fängt den Wurm.

Zu Gast bei „Deutsche See“, dem nationalen Marktführer für Fisch und Meeresfrüchte in der Fischmanufaktur in Bremerhaven. Einmal mehr trifft mich ein gastronomischer Zufall, den ich als Privatperson bestimmt nicht erlebt hätte. Denn hätten Hannah und Marcel, die beiden Stammköche aus der Gourmetküche im Schlosshotel Münchhausen, mich nicht jüngst spontan auf einen Kaffee besucht, hätte ich von diesem Termin nichts gewusst. Und kann es denn etwas spannenderes geben als einen Sternekoch mit seinen Köchen auf einer Einkaufstour und Betriebsbesichtigung zu begleiten? 

Mitten in der Nacht beginnt der Tag. Gassi gehen, eine schnelle Dusche und los geht’s. Treffen auf dem Parkplatz eines großen Möbelkonzerns. Mit Vollgas geht’s weiter nach Bremerhaven. Dass es um viel Fisch gehen wird ist uns allen klar, aber nicht welche Voraussetzungen dafür erfüllt werden müssen. Eine nette Dame mit blonden Kringellöckchen begrüßt uns kurz. Dann wird es sachlich. Keiner von uns hat sich ausgemalt, was nun kommt. „So, hier sind die Formulare, die sie uns bitte ausfüllen. Handys sind nicht erlaubt, bitte legen sie allen Schmuck ab. Kaugummi kauen ist auch nicht erlaubt.“ Sie deutet auf mich. Bei diesem Ton stehe ich stramm und nicke kurz. „Sie bekommen von uns gleich Einmaloveralls, die Kopfbedeckungen bitte bis über  die Ohren ziehen und Sie bekommen noch einen Bartschutz.“ „Einen was?“ frage ich. 
Ein Raunen geht durch die Meute. Auf eine frühmorgendliche Verkleidungsaktion hat hier keiner so recht Lust. Aber kneifen gilt nicht. Also los. Ich bekomme die Sondererlaubnis Fotos im Betrieb machen zu dürfen; zum Glück. Das Unbehagen steht jedem ins Gesicht geschrieben. Etwa zehn Minuten stehen wir auf dem Gang. Die Kopfbedeckungen reißen alles raus. Wir sehen alle gleich Scheiße aus! Dann geht es in die Hallen. 
Desinfektionsschleuse Nummer eins. Hände in die Schleusenelektronik halten  bis das Grüne Signal aufblinkt. Eine Maschine spritzt einem Seife und Desinfektionsmittel in die Hand. Erst jetzt wird das Drehkreuz entriegelt und man kann weitergehen. Hände waschen und weiter geht’s mit Desinfektionsschleuse Nummer zwei. Jetzt werden einem auch die Füße und Schuhe sauber gebürstet. Ich fühle mich ein wenig an den Hollywoodstreifen mit Doris Day erinnert, in dem sie auf einem Rüttelgitter mit ihrem Absatz stecken bleibt, als sie einen staubfreien Raum betreten will. 
Wir stehen nun in einer großen fast leeren Halle. Nur wenige Boxen stehen hier rum. Wir befinden uns bei der Qualitätseingangskontrolle. Was uns genau erwarten wird, wissen wir alle nicht. Es piept und ständig fliegen irgendwelche Tore auf, durch die hektische Staplerfahrer Kisten hin und her kutschieren. Im zweiten Teil der Halle betreten wir die Lachsverarbeitung. Das ist die Ausgangsstation jeglicher Lachsverarbeitung. Hier werden tausende von Lachsseiten verarbeitet. Kopf ab und los geht’s. Die Filets laufen nun über die Lachsstrassen. Hier läuft alles automatisch. Da wird auch schon mal ein Filet von der Maschine völlig verhackstückt. Aussortiert und umsonst gestorben. Die Seiten werden anschließend vollautomatisch entgrätet und gehen in die Sortierung zur weiteren Verarbeitung. Es wird direkt vakuumiert, kalt geräuchert und konfektioniert für den täglichen Bedarf. 



Wir sind in der Abteilung zur Verarbeitung von Convienence Food angekommen. Zwischengelagert wird hier nichts. Der Kunde bestellt, „Deutsche See“ stellt bereit, verarbeitet und liefert spätestens achtundvierzig Stunden später aus. Kühlhäuser zur längeren Lagerung sind nicht nötig. Logistisch eine Meisterleistung. Die Kühlkette nicht eine Sekunde unterbrochen. Mehr als 10 Tonnen Eis werden hier täglich verbraucht. Nach zirka zwei Stunden sehe ich zum ersten Mal einen Fisch im Ganzen. 
Wir befinden uns in der „Selectabteilung“. Hier gibt es Frischfisch der höchsten Güte. „Chef“ sieht das mit etwas anderen Augen. Ich bin nicht in der Lage den feinen Unterschied zu erkennen, was diese Ware von der Ware unterscheidet, die „Chef“ von seinen Lieferanten bezieht. Plötzlich bricht Hektik aus. Anlieferung von französischer Auktionsware. Man ist neugierig. Die acht oder neun Paletten bekommen höchste Aufmerksamkeit. Auch von uns. Die Kisten werden geöffnet. Ein Großteil der Ware ist bereits verkauft. Trotzdem schafft es „Chef“ irgendwie drei Kisten mit wirklich gut aussehenden roten Meerbarben zu ergattern. Plötzlich bricht Shoppingfieber aus. Ich bekomme das gar nicht so recht mit. Aber am Ende des Tages ist der Bestellzettel voll. 
Um die Qualität von Fisch zu bestimmen gibt es verschiedene Kriterien. Zunächst die Überprüfung, die auch jede Hausfrau hinbekommt, die auf dem Markt einen Fisch kauft. Frischer Fisch hat klare Augen, rote Kiemen und festes Fleisch. Der Einsatz aller Sinne ist nun gefordert. Drucktest, Riechtest und visuelle Beurteilung. Verkostet wird später. Was ich bis dato nicht wusste, ist das Wissen über die Fangart der Fische. Industriell gefangener Fisch wird von großen Fischereiflotten mit großen Schleppnetzen gefangen. Diese bleiben bis zu sechs Stunden im Wasser. Wie der Fisch, der vor sechs Stunden in dieses Netz gegangen ist nun aussieht kann man sich wohl gut vorstellen, nach dem etliche Tonnen über Stunden auf dieses erste Tier gedrückt haben. Der Fischer eines kleinen Städtchens an der französischen Atlantikküste, dessen Leben und das Leben seiner Vorfahren stets die Fischerei gewesen ist, wird hier eine ganz andere Qualität liefern können. Eigentlich logisch.  Bloß lassen die Großen den Kleinen nicht mehr viel übrig und grasen die Meere in einem Tempo ab, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis unsere Meere leer gefischt sind. Aber der Markt verlangt nach mehr. Jeder Discounter bietet mittlerweile die verschiedensten Fischprodukte an. Je ausgefallener desto lieber. Und der Ottonormalkunde glaubt ein Stück vom Luxus zu bekommen. Vor etlichen Jahren gab es doch da mal den Skandal als eine große deutsche Discounterkette Haifischkotlett angeboten hatte. Die Nachfrage war so enorm hoch, dass diese nur mit Mühe und einem enorm hohen Aufwand diese gestillt werden konnte. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist das Produkt dann aber doch recht schnell wieder aus den Regalen verschwunden. Am besten ist natürlich Angelware. Fische, die gezielt aus dem Meer geholt werden. Ohne Beifang, tote Delphine oder Fischmaterial, dass dem Stress des Fang mit Netzen nicht standhält und nach der Rückführung ins Meer verendet. Fische aus Aquakulturen sind mehr und mehr am kommen. Es geht auch gar nicht anders, denn der enorme Bedarf kann nicht mehr über den natürlichen Bestand gedeckt werden. Fische aus Aquakulturen sind in der Hochküche viel diskutiert. Auf der einen Seite ist es möglich die Aufzucht streng zu kontrollieren, die Wasserqualität ständig zu prüfen und mittels Futter, dem Fisch geschmacklich tatsächlich auch schon eine Richtung vorzugeben. Auf der anderen Seite wird ein Lachs, der sich auf natürlichem Wege ernährt und eine lange Reise Flussaufwärts von den kanadischen Küsten ins Landesinnere hinter sich hat, ein viel festeres Muskelfleisch aufweisen, dass geschmacklich in Aquakulturen so nicht zu erzielen ist. Allerdings ist es wie mit vielen Dingen. Man muss den Unterschied kennen, um ihn ausmachen zu können. 
Wir ziehen weiter durch die kalten Hallen. Hier wird geschnippelt, dort wird verpackt. An einer langen Fischstrasse wird Pangasiusfilet auf verschiedenste Arten vor- und zubereitet. Alles schon fertig für den Endkunden. Eine Pause würde jetzt gut tun. Zusammen mit einem Kaffee. Die Raucher unter uns werden unruhig. Wenig später sind wir wieder an der frischen Luft. 

Die Besichtigungstour ist allerdings noch nicht am Ende. Eine zweite Halle und ein zweites Mal schlüpfen wir alle wieder in die kleidsamen Overalls und setzen uns die „Mörderduschhauben“ wieder auf. Wieder werden wir durch Desinfektionsschleusen getrieben. Dies sei nun mal wirklich positiv zu erwähnen. Was die Einhaltung von Hygiene angeht ist der Laden absolut Top. Elektronisch überwacht, die Schuhsolen per Lichtschranke saubergebürstet und erst wenn man einen Spritzer Desinfektionslösung in beide Hände vom Automaten bekommen hat gibt dieser das Drehkreuz frei. Schummeln geht hier gar nicht. 
Halle zwei verarbeitet Fisch. Hier werden Farcen und Terrinen im großen Stile hergestellt. Etwas befremdlich ist der verglaste Arbeitsplatz, der sich direkt hinter dem Empfang befindet. So zusagen ein Affenkäfig für den neugierigen Besucher. Auf der anderen Seite aber echt cool: So bekommt man einen ersten Einblick in die Produktion ohne sich gleich als Teletubbie verkleiden zu müssen. In der Nachbarhalle wird Fisch für die Räucherei vorbereitet. Makrelen, Sprotten und jede nur erdenkliche Art von Räucherfischdelikatessen. Am spannendsten aber auch am blutrünstigsten ist die Makrelenaufschlitzdurchbürstsalzlakenspitzungsstation.
Hier wird klar, dass es sich neben all der Handarbeit um einen industriellen Betrieb handelt. Die Makrelen zischen hier im Sekundentakt durch. Da passiert es schon mal, dass der eine oder andere Fisch der kreisenden Säge zum Opfer fällt und ziemlich zerfleddert das Ziel erreicht. Aussortieren – und tschüss. 
Der Abfallbehälter ist ziemlich voll, aber darum möchte ich mir lieber keine Gedanken machen. Die nebeneinander aufgereihten Räucheröfen wecken eine ziemlich unschöne Assoziation. Während der Vorweihnachtszeit wird hier im Drei-Schicht-Rotationsprinzip gearbeitet. 
Das ist ne Menge Fisch. Wir werden weitergeschoben. In dieser Halle herrscht Ruhe. Fünf Damen fertigen Delikatessen. Optisch äußerst ansprechende Fischhäppchen werden in noch ansprechenderen Delikatessboxen verpackt. Die letzten Stunden hat man so viel Fisch gesehen und gerochen. 
Den Geruch aus den Räucherkammern am Leibe tragend hoffen alle, dass es beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen in der Testküche der Deutschen See keinen Fisch gibt. Vergeblich. Oben auf dem Verwaltungsgebäude ist die Probeküche, in der auch hochpreisige Seminare mit noch hochkarätigerem Schulungspersonal, wie Lafer oder Schuhbeck stattfinden. Das Ambiente sehr angenehm. Rundumblick über ganz Bremerhaven. Auf einer Dachterasse haben die Raucher unter uns Gelegenheit ihrem Laster nach zukommen. Der Ausblick ist schon nett. Es bedarf keiner überirdischen Kombinationsgabe um darauf zu kommen, dass das gemeinsame Mittagessen natürlich eine Verkaufsveranstaltung ist. Vorab Verkostung von verschiedenen Delikatesssalaten mit Garnelen, Makrele, Couscous und Zartweizen. Für verwöhnte Gaumen durchaus eine Geschmacksfrage. „Gut für Bankett!“ meint ein Koch aus unserer Runde. 
Man isst und schweigt. Das Brot aus eigener Herstellung ist wirklich erwähnenswert lecker. Es folgt ein Kabeljau im Ganzen mit Rosmarinkartoffeln, glaube ich mich recht zu erinnern. Auf jeden Fall fehlt Salz. Entenbrust und Spanferkel stellen den vorläufigen Abschluss dar. Nun, was die Ente angeht ist mein Gaumen verwöhnt und die Challansente aus Schwekendieks Küche ist halt einfach nicht zu toppen. 
Zum Spanferkel habe ich eigentlich keine Meinung, da ich grundsätzlich nicht der Schweinefleischesser bin und hierzu habe ich daher auch keinen Vergleich. Es folgen noch zwei Rohproduktpräsentationen. Roher Tiefkühlhummer und St.Pierre aus der Tiefkühlbevorratung. Achim Schwekendiek, der die französische Küche schätzt und praktiziert sagte neulich in einem Interview, dass gerne noch länger in Frankreich geblieben wäre. Ich kann zwar nur raten, denke mich aber, dass Tiefkühlhummer in seiner Küche keinen Einzug halten wird. Trotz Bevorratungsmöglichkeit, sofortiger und humaner Tötung noch am Ort des Fangs und optimalen Verarbeitungsbedingungen des rohen Tieres ist er im Herzen doch zu sehr Franzose. Mich persönlich hat der Verkaufleiter mit dem Rohhummer durch aus überzeugt und geschmacklich gibt es auch nichts zu wollen. Den St.Pierre beurteilen alle als sehr gut - für einen Tiefkühlfisch!


Im dunklen hat der Tag begonnen und im dunklen wird der Tag enden. Die Sonne ist am untergehen. Verbleibende Fahrtzeit noch zirka eine Stunde. Zurück auf den Parkplatz eines großen Möbelhauses, wo noch mein Auto steht. Dann ab nach Hause und Gassigehen mit dem Köter. Danach lange, lange duschen. 

Montag, 15. November 2010

42. Und sie haben Hunger!

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Wer sich nicht in die Ehe und die Gesellschaft seiner Familie flüchtet landet irgendwann am Stammtisch. Man kann es auch vornehmer ausdrücken und nennt das ganze Vereinsleben oder Clubtreffen. Clubmitglied zu sein ist cool. Klingt bloß nach weniger Saufen, was man leider nicht nachprüfen kann, da es sich wie gesagt um einen Mitgliederkreis mit eingeschränktem Zugang handelt. Die Wichtigen nennen sich dann Lions, die noch wichtigeren Rotarier, der Bund freischaffender Künstler sind die richtig armen Schweine und dann gibt es da neben vielen anderen Beispielen noch die Vereinigung der Jeunes Restaurateurs -Topnachwuchsköche. Wer hier dazu gehört ist hip. Wer hier dazu gehört ist angesagt und hat es geschafft. Und meistens lässt der Sterneregen auch nicht lange auf sich warten. Wer dazu auch noch charmant und gutaussehend ist und den nötigen Öffentlichkeitsdrang besitzt wird Werbeträger und gibt sein Gesicht für Formschinken und Würzmittelpasten namhafter Lebensmittelproduzenten her. Nebenbei bemerkt gibt es diese Vereinigung schon so lange, dass die damals jungen noch immer zu den "Jeunes" gehören, auch wenn Sie schon weit jenseits der vierzig sind. Aber wie heißt es so schön, man ist immer so jung, wie man sich fühlt. Was mich betrifft hätte ich ja nie gedacht, dass ich jemals in die Nähe dieser Leute komme. Und dann ganz plötzlich stand ich im Frühjahr diesen Jahres in Achim Schwekendieks Gourmetküche. Ich habe gelernt, was es heißt die typischen Geschmacksnoten aus Lebensmitteln herauszukitzeln, geschmackliche Achterbahnfahrten zu erleben und das gute vom bösen Lebensmittel zu unterscheiden. Achims plötzliche Einladung haute mich um, als er mich diesen Herbst bat seine Küchenbrigade als Gastkoch, anlässlich der Tagung der Jeunes Restaurateurs im Schlosshotel, zu unterstützen. 
Achtundvierzig Stunden Superhappening mit Champagner satt und kulinarischen Spitzfindigkeiten, die einem schier den Atem rauben. Muss ich erwähnen, dass ich keine Bedenkzeit benötigte? Wenn Achim ruft, wird der Kalender umgeschrieben. Dann hat eine Woche auch schon mal acht Tage. Was genau mich jetzt qualifiziert hinterfrage ich besser nicht. 

Kaum den Fuß ins Hotel gesetzt kommen schon die ersten Seitenhiebe: "Na schon Bluthochdruck? Das Haus voller Sterneköche?!". Ertappt. Eine gewisse Aufregung war nicht von der Hand zu weisen. Mit meiner „Meisterschule“ der Jeunes betrete ich die Küche, bereit wie ein Groupie mit Buch und wasserfestem Stift bewaffnet jeden Meisterkoch anzuspringen, um später lange noch von dieser Erfahrung mit den ganz Großen zehren zu können. Aber bis zu deren Eintreffen soll noch viel viel Zeit vergehen. Zur Begrüßung säbele ich mir erst mal mit der Schneidemaschine einen tiefen Schnitt in das Daumengelenk, was prompt durch einen sprudelnden roten Quell quittiert wird. Pflaster drauf, ein bisschen Druck und weiter geht's. Ananas in hauchdünne Scheiben schneiden, ausstechen und in einem asiatischen Fond einlegen. Die restlichen Abschnitte wandern nicht gar in den Abfall, sondern werden bitte schön fein gewürfelt zwecks weiterer Verwendung, die noch nicht genau feststeht. Apropos fein würfeln. Bis zum frühen Nachmittag mache ich nichts anderes, als zu würfeln. Nach den Ananas sind es Zuckerschoten, nach den Zuckerschoten Schalotten. Danach kann ich meine rechte Hand nicht mehr ruhig halten, ohne dass diese noch immer die Bewegung des wiegenden Messers fortsetzt. An der Stelle wo der Zeigefinger auf dem Messergriff aufliegt hat sich eine verhornte druckempfindliche Stelle gebildet. Ich liebe diesen Job. 

Am ersten Tag wartet die Küche mit einer Vielzahl an kleinen leckeren und raffinierten Portiönchen im Rahmen einer Küchenparty auf. Dazu wurden bunte Strahler und Schwarzlicht in der Küche installiert. Dazu Musik von Tiger Tom Jones. Die Wände des Restaurants sind grün, das Licht in der Küche rot. Das Schwarzlicht sorgt dafür, dass man überhaupt kein Farbempfinden mehr besitzt und man unter ständiger Hypnose ist. Dann gehen die Türen auf. Ungefähr sechzig Personen, die „Chefkoch Haute Volée“ mit Ihren Damen, Sponsoren und grob zusammengefasst - den Sonstigen. 
Einigen hungrigen Damen geht es nicht schnell genug. Sie ziehen uns bereits die Teller weg, noch bevor diese fertig angerichtet sind. Das Beste liefert jedoch ein Zweisternekoch, der zu späterer Stunde, ganz angetan von den ihm kredenzten Speisen und Getränken zu uns in die Küche kommt, sich einen Löffel schnappt und einmal hier in einen Schaum eintaucht, dort an einer Jus nippt, sich fluchs ein Stück St. Pierre vom Tablett mopst und wohlwollend seiner Entzückung über die gelungenen Komponenten freien Lauf läßt. Es ist in jedem Fall einen Schmunzler Wert. 
Kurz vorher habe ich mich wie ein Stalker mit meinem Kochbuch auf dem Weg durch das Restaurant gemacht, auf der Suche nach all den an diesem Werke Beteiligten, die ich allerdings weder kannte noch anhand der Portraitfotos im Buch zuordnen konnte. Der Einfachheit halber quatschte ich einfach jeden an und ließ mir mein Buch signieren. 
Für einen weiteren Lacher wird gesorgt, als man dem TV-Bouillonkönig eine Packung mit Instanthühnerbrühe vor die Nase stellt, gerade in dem Moment als dieser genüsslich in ein Bigorre-Schweinescheibchen biss. Das hat zwar etwas von „Insider“, aber es saß. 

Der Hunger ist gestillt, der Durst noch lange nicht. Der Rittersaal rockt und wir aus der Küche ziehen uns mit den letzten noch offenen Flaschen Champagner in die Kantine zurück. Mit reichlich Schwatzalkohol trank nun noch man ein Glas - und noch ein Glas - und noch ein Glas. Wann die Party endete weiß niemand mehr so genau. Man munkelt, der Küchenchef habe sich gemeinsam mit dem Wächter des Weinkellerschlüssels noch zu später Stunde als Klaviertransporteur versucht und sich angeblich hierbei den Fuß gebrochen. (Tage später bekomme ich noch die Rückversicherung aus erster Hand, dass dem nicht so gewesen sei.)

Nach nur fünf Stunden Schlaf schlage ich erschrocken die Augen auf. Die Luft im Zimmer steht. Der auf dem Nachbargrundstück angesiedelte landwirtschaftliche Betrieb hat just an diesem Morgen seine Gülletore geöffnet. Der stechende Geruch treibt einem die Tränen in die Augen. Duschen, Anziehen und nix wie rüber in die Küche. Das Duschen im Schloss ist ja ein Erlebnis für sich, das sei noch kurz erwähnt. Die haben da diese Regenwaldbrauseköpfe, die einfach nur rundum wohl machen. Als ich in die Küche komme ist Marcel schon da. Schläft der Junge eigentlich nie? Der muss ja noch weniger Schlaf als ich bekommen haben. Aber wer mit Leib und Seele Koch ist, der braucht keinen Schlaf und ist mit seinem Arbeitsplatz verheiratet. 
Nach dem ersten Kaffee und dem Austausch dunkler Gerüchte was sich am Vorabend noch so alles abgespielt habe machte man sich an die Beseitigung der hinterlassener Spuren, die die Serviceleute spät im Schatten der Nacht in der Küche hinterließen. Anschließend heißt es Vorbereitungen für das große Galamenü treffen, für die Großen unter den Größten. 
Nach gestrigem Zwiebelschneiden, Ananaswürfeln, Lauchputzen, Zuckerschotenhacken und Püreekochen ist heute Fleischverarbeitung in größerem Stile an der Tagesordnung. Ich bereite an die 100 Portionen Maispoularden zu, von denen offensichtlich nicht alle Mais gefrühstückt hatten. Etliche Rehrücken müssen ausgelöst und pariert werden. Und wieder eine Schlüsselerfahrung. Um Rehrücken zu parieren benötigt man ein Messer mit gerader und starrer Klinge, so lassen sich die Sehnen mehr oder weniger direkt in einem Rutsch abtrennen. Das wusste ich nicht und murkse lange mit meinem Ausbeiner rum. Und dann sind da noch Scholle, Scholle, Scholle. Die Finger stinken noch jetzt nach Fisch, aber die Filets sind nahezu perfekt geraten. 
Servicebeginn. Es wird ernst. Auch „Chef“ ist merklich angespannt. Es geht immer etwas schief. Die Kunst besteht nur darin, dass niemand merkt, was es ist. Letztlich bestimmen drei von 12 Leuten über Gelingen oder Misslingen dieses Abends und das sind Chef, Hannah und Marcel. Ich denke alle anderen, mich eingeschlossen, sind stolz an solch einem Abend teil der Brigade sein zu dürfen. Nach dem Dessert löst sich die Spannung bei allen merklich. Schaulaufen der Service- und Küchenbrigade. Standing Ovation, der nicht enden will. Schon cool. Ist nur etwas dumm gelaufen, da wir uns wie Orgelpfeifen aufstellen sollten und so war ich der Dritte in der Reihe. Einer Reihe, die nichts mit der wirklichen Rangordnung zu tun hat. 
Für den krönenden Abschluss des Abends sorgt dann ein Azubi, der sich beim Abtransport des ganzen Drecks eine ganze Ladung Schokoladenschaumsoße über die Jacke gießt. 

Die zwei Tage waren der Kracher. Ich war wieder einmal völlig in meinem Element. Wieder in der Routine beim Schnippeln, zerlegen, parieren, klopfen und panieren. Das bereitet mich perfekt auf das Weihnachtsmenü vor, dass ich dieses Jahr Eltern, Geschwister und Freunden der Familie in gelernter Manier servieren werde; und sie werden Hunger haben.