Der Abschluss
In vierzig Stunden wird alles vorbei und Geschichte sein. Dann werden andere kommen und sich fünf Tage lang bekochen, kritisieren und bewerten. Es werden neue Freundschaften geschlossen und Hasslieben entstehen. Da wird es die Allergiker, Besserwisser und Nichtsesser geben. Es kommen neue Kandidaten, die alles geben. Höchste Punktzahlen holen wollen und wiederum die, denen alles egal ist. Eine Woche unter Strom stehen, nicht wissen, welche Statements zum besten gegeben werden, welche persönliche Meinungen geäußert werden und in welche Fettnäpfchen mit großem Fuße getreten wird. Denn was draus gemacht wird, weiß ganz allein der Regisseur. Und schließlich Woche für Woche im Vorabendprogramm für eine Stunde lang das gleiche Spiel. Die Zeit zwischen Feierabend und Tagesschau. Für die Zuschauer willkommende Unterhaltung zum Abendbrot. Durchzappen oder hängenbleiben. Ein bisschen entspannen oder mitfiebern. Das Interesse ist da, aber auch Aufmerksamkeit? Wohl eher weniger. Die Gelegenheit nach nur einem dummen Kommentar weiter zu schalten oder sich daran ergötzen, wie sich das deutsche menschliche Elend nur so zur Schau stellen kann.
Aber ich kann sagen, ich war dabei. Für mich war es ein riesen Abenteuer. Eine Woche voller Spannung und Aufregung. Doch bevor diese Woche nun endlich zu Ende geht, fahre ich erstmal nach Hause. Der Koffer voll mit Schmutzwäsche und auch ich rieche streng. Ich freue mich auf eine lange Dusche und dann stürze ich mich in Vorbereitungen, denn nun kommt: Mein perfektes Dinner!
Dieser Tag gilt einzig und allein dazu zu reisen und vorzubereiten. Ich komme erst spät nach Hause, der Tank ist leer. Die Akkus auch. Es ist schwer so aus heiterem Himmel neue Energie zu aktivieren. Als die Wohnungstür ins Schloss fällt macht sich eine weitere völlig unerträgliche Lautstärke breit. Stille. Nach etwa einer Stunde sammle ich mich und schreibe meinen Einkaufszettel. In zwei Stunden kommt meine bestellte Ware. Alle Weichen sind gestellt. Alle Zeichen auf Menü. Ich koche mein Menü, nicht mehr nicht weniger. Alles andere ist Überfluss und wird zu dem nicht bewertet. Wer immer noch glaubt ein perfektes Dinner zu kreieren und zu servieren der täuscht sich. Es wird in erster Linie eine Fernsehshow aufgezeichnet, die das Kochen zum Inhalt hat. Der Weg ist das Ziel. Nach fünfundvierzig Minuten stehe ich an der Kasse. Kaum zu glauben, aber ich habe fast alles bekommen. Der Rest wird geliefert. Und beim Gemüsehändler hole ich noch Feigen, Lauch und etwas Dekokraut, wie Brunnenkresse und Kerbel. Zu Hause angekommen, sind meine Enten, der Spinat und so allerlei andere schöne Dinge bereits da. Die Vorbereitung kann beginnen. Der Nachmittag ist weit fortgeschritten und ich glaube der Abend wird es auch sein, bis ich fertig bin. Drei Gänge und fünfzehn Komponenten, Fingerfood und Brot. Ärmel hoch und los. Alles was nicht superfrisch gemacht werden muss, wird schon mal vorbereitet. Eine Ladung Parfait für das Dessert. Blätterteig ausgestochen, Spinat geputzt, Haselnüsse eingelegt, Nudelteig geknetet, Hippen gebacken. Bei den Hippen stelle ich fest, dass Zucker zur Neige geht. Ein überflüssige Tatsache. Neunundvierzig Cent und fünfundzwanzig Minuten später. Schlechte Bilanz. Strudel backen. Au weia, der Brickteig ist schimmlig. Jacke überwerfen und auf zum Asialaden. Der nächste ist mitten in der Stadt und das im schönsten Feierabendverkehr. Zwei Euro neunundvierzig und vierzig Minuten später. Eine noch schlechtere Bilanz. Die Hippen und die Strudel backen. Alles was heute fertig wird, muss ich morgen nicht machen. Eigentlich einleuchtend. Der Tipp der anderen, alles fertig zu haben, oder doppelt bereitzustellen, nehme ich mir zu Herzen. Am Ende nützt es mir aber trotzdem nichts.
Der Spinat ist geputzt, Kartoffeln und Trüffelschaum gehen erst morgen, der Nudelteig fertig. Enten auslösen und Fond ansetzen ist erst bei laufenden Kameras möglich. Das wird eh so ein Ding, da die französischen Enten hier komplett liegen. Der Fleischkonsument im allgemeinen kann sich allerdings nur schwer damit auseinandersetzen, dass ein Tier unter Umständen noch Federn, Augen oder einen Schnabel haben könnte. Nur sollte ein Fleischesser nicht vergessen, dass Brüstchen, Keulen und Filet selten in der Styroporverpackung zur Schlachtbank geführt worden sind.
Meine Erfahrungen mit dem toten Tier hatte ich bereits in Kapitel : Der Tag der toten Tiere geschildert.
Die Strudel sind gerollt und ausgebacken, die Haselnussmilch angesetzt und Rauchmandeln gehackt. Das Calvadossüppchen vorbereitet, der Blätterteig für den Knusperapfel ausgestochen. Die Vorbereitung steht und gegen zwanzig Uhr lösche ich das Licht in der Küche.
Neunzig Minuten später klingelt das Telefon. Zwei meiner Mitkandidaten sind nun in der Stadt angekommen. Man hat gegessen und geht nicht weit vom Bahnhof entfernt noch etwas trinken. Ich befinde mich zwar in einem Zustand völliger Müdigkeit und innerer Aufgewühltheit, halte aber ein Sauftreffen jetzt genau für das Richtige, um diesen Abend abzuschließen. Schließlich läuft das erste Filmteam ja erst morgen gegen acht Uhr morgens bei mir auf.
In einer Pseudo-Schickimickbar in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes kippt man gemeinsam ein paar Drinks. Ich bleibe bei Sekt, bzw bekomme einen Prosecco. Der Unterschied zwischen einem Sekt und einem Prosecco scheint dem Servicepersonal ziemlich schnurz zu sein. Ich freue mich in gewohnt lockerer Umgebung und Gesellschaft zu sein. Nach soviel gemeinsamen Tagen versteht man sich schon nahezu blind. Das tut gut. Nach nur einer Stunde und drei Proseccos verabschiede mich. Für mich wird es Zeit, mein großer Tag liegt keine zwei Stunden mehr vor mir.
Showbiz ist halt Showbiz. Ich koche zwar den Freitag, aber durch die viele Reiserei sind zwei Tage Leerlauf entstanden und so ist mein Aufnahmetag der Sonntag. Mein Wecker klingelt täglich um sechs Uhr dreißig wegen des Hundes, außer Sonntags. Etwas irritiert schlage ich die Augen auf. Es ist viertel vor acht. In fünfzehn Minuten, wird das erste Filmteam hier aufschlagen, sofern sie denn pünktlich sind. Hektik! Der Hund muss raus. Pipi, Kacka, ab nach Hause. Noch zwanzig Brötchen für die drei Crews besorgt, die heute sich über den ganzen Tag in meiner Wohnung ausbreiten werden. Ab jetzt wird es spannend. Behind the scenes.
Der letzte Countdown. Letzte Interviews. Draußen ist es noch zu dunkel, um "Ankunftsaufnahmen" zu machen. Als erstes die Wohnungsführung. Schließlich muss man ja wissen, wo man sich befindet. Mit meinen Einkäufen hetze ich die Treppe hinauf. "So, nun kommt doch erstmal rein!" Alles noch einmal. Bitte beim Du bleiben, nicht beim ihr. Und noch einmal: "So nun komm doch erstmal rein!" Eine Nachbarin läuft mir durch das Bild. Fragende Blicke:'Was ist denn hier los?' 'Klappe halten und weiter!' Ich hetze ein drittes Mal mit meinen Einkäufen die Treppe hoch. Ein Tisch, der rein zufällig bei mir im Flur rumsteht dient als Ablagefläche für die Kisten. Ich zeige meine Stube, meine Kochbücher, meine Bildbände und leite über in den Essbereich. Einmal links, einmal rechts an der Kamera vorbei. Wir bleiben bei der ersten Variante. Alles natürlich, nichts gestellt. Das Esszimmer noch nackt. Der Zusammenhang fehlt noch. Also noch einmal alles von vorn. Die Gemüsekiste auf dem Tisch im Flur, der da normalerweise nicht steht, abgestellt. Ein kurzes Statement und ab ins Wohnzimmer. Kochbücher, Bildbände und ein Statement von mir, warum dieses Zimmer so interessant sei, es beim Stöbern genauer zu erkunden. Links an der Kamera vorbei und ab ins Esszimmer, dass an normalen Wochentagen mein Büro darstellt. Von da aus zurück in den Flur und dann ab in mein Fotostudio. Schwenk, Schwenk, und plötzlich sitze ich in meinem Kulissenthron und gebe meine Meinung zum Besten. Die "Arri"-Lampen glühen, meine Wangen auch. Keine Zeit für Make-up. Nachdem ich meine Meinung über meine allgemeine Arbeit abgeben darf, habe ich mich an die Vorbereitung meines Dinners gemacht. Ab jetzt wird es eklig. Da liegt nun Donald Duck vor mir. Im Ganzen mit Schnabel und allem drum und dran. Für meinen Hauptgang benötige ich nur die Brüstchen. Die Keulen werden eingefroren. Die kann ich noch immer zu einer anderen Gelegenheit gebrauchen. Schade wäre es nur, wenn ich nur die Brüste verwendet hätte und der Rest in den Abfalleimer gewandert wäre. Die Brüste werden ausgelöst, die Keulen auch. Das Fett dieser Ente ist einfach zu viel. Mit einem Küchenbeil und einigem Kraftaufwand werden die Knochen zerhackt. Was nach einem Blutbad und Massaker aussieht dient einzig und allein dazu die Oberfläche des Knochenmaterials zu vergrößern, damit beim Rösten und Auskochen möglichst viele Aromen in die Flüssigkeit ausgeschwemmt werden können. Ein Fond und später auch die Soße kommen halt nicht von ungefähr.
Meine Vorspeise habe ich vegetarisch gewählt. Es muss nicht immer Fleisch sein. Und Trüffel geben dem ganzen ohnehin schon eine besondere Note. Bei der Ente fiel die Wahl auf eine französische Ente aus dem Challans. Ich lege Wert darauf, dass diese wenigstens bis zu Ihrem Tode ein schönes Leben gehabt hat. Die zur Zucht ausgewählten Tiere können sich frei zwischen den Höfen und den Kanälen bewegen. An den Ufern der Kanäle befinden sich kegelförmige Nester aus Binsen. Die weiblichen Enten werden sowohl von den Erpeln der Zucht, als auch von vorbeiziehenden Wilderpeln befruchtet. Die geschlüpften Enten lässt man entweder bei der Ente oder vertraut sie einer Zwerghenne an. Wenn sie älter sind, finden sie zusätzlich zu der vom Züchter gegebenen Nahrung Raupen, Insekten, Larven, Kaulquappen und Schnecken aller Art. Mit 8 Wochen etwa kommen sie in eine Einfriedung für eine intensive Mast. Die Enten von Gérard Burgund, um nur ein Beispiel zu nennen, werden in Halbfreiheit aufgezogen. Und das klingt einfach anders als Massenzucht, gekappte Schnäbel bei Geflügel, Käfigzucht, Knochenbrüche oder große Herden, die zwar draußen sind, aber dennoch nur Gras platt treten können. Mal ganz zu schweigen von der Tierhaltung zur Herstellgun von Entenstopfleber.
Gegen zwölf Uhr drehen wir noch schnell meine Ankunft mit meinen Einkäufen vor dem Haus. Nun ist es hell genug draußen. Da die Produktion ja schließlich an einem Sonntag stattfindet brauchen wir noch eine sinnvolle Überleitung, wie ich zu meinen Lebensmitteln kam.
Das Team baut ab, ich baue auf. Das nächste Team kommt erst in neunzig Minuten. In der Zwischenzeit darf ich den Tisch dekorieren. Eine befreundete Floristin sorgt für den floralen Kick auf dem Tisch. Das macht sie wirklich gut. Dann habe ich noch etwas Zeit, in der ich in der Küche noch etwas weiter vorbereiten kann. Der Fond muss weiter ein- und auskochen. Ich fange schon mal mit den Ravioli an, denn das ist eine elendige Sauerei. Der Nudelteig wird plattgewalzt bis auf die feinste Stufe, dann runde Taler ausgestochen und mit Eigelb eingepinselt. Anschließend werden Eigelbe vom Eiweiß getrennt. Am Besten macht man das in der Hand und lässt das Eiweiss durch die gespreizten Finger fließen und setzt das Eigelb dann auf das Nudelblatt. Mit einem zweiten Nudelblatt wird das ganze dann Luftdicht verschlossen. Die Herausforderung besteht darin, dass das Eigelb nicht kaputt gehen darf, denn sonst läuft einem später der ganze Ravioli aus. Sechs Ravioli muss ich machen, vier Eier gehen in die Dutten. Mehr als vier Eier habe ich dann nicht mehr. Da darf also gar nichts mehr passieren, sonst stehe ich echt dumm da. Als ich bis zu den Ellenbogen in Mehl, Griess und Eierabfall stecke klingelt es. Team zwei geht an den Start.
Die Flutlichtbeleuchtung steht. Ab jetzt wird nur noch in der Küche gedreht. Wir fangen damit an, dass wir den Fond umsetzen. Durch das weitere Anrösten von Gemüsen steht die Küche innerhalb weniger Minuten unter Qualm. Jeder Handgriff wird kommentiert. Man fühlt sich wichtig, wie ein Fernsehkoch. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass man einfach die eine oder andere Sendung zu viel gesehen hat. "Ich schneide jetzt die Karotten, dann die Zwiebeln und dann den Sellerie….." "Äh, du brauchst nicht jeden Schritt zu kommentieren." "Sorry…" Als nächstes machen wir uns an das Parfait, also das Eis. Die Schritte sind routiniert. Die Kamera stört mich fast gar nicht. Das Übel werde ich ja dann auch erst in der Glotze sehen. Wahrscheinlich hat der Kameramann mich ständig von der Seite aufgenommen und im Profil habe ich kein Kinn. Da geht mein Gesicht direkt in den Hals über. Ich konzentrier mich auf meine Arbeit. Erdnüsse hacken, karamellisieren, noch mal hacken, Milch mit Honig und Vanilie aufkochen, Eigelb mit Zucker aufschlagen. Und immer schön in Bewegung bleiben. Das habe ich während meines ersten Praktikums bei Christian gelernt. Es flutscht.
Für die Kamera mache ich noch einmal zwei Ravioli, diese Dinger mit dem Eigelb. Eine herrliche Schmiererei. Die Vorbereitung vor der Kamera ist zeitraubend. Meine Küche ist nicht die kleinste und bei jedem Handgriff hüpfen immer drei Leute um einen herum.
Letzter Schichtwechsel. Kurz vor knapp kommt das letzte Team. Und die bleiben nun auch bis zum bitteren Ende. So ganz steht die Vorbereitung noch nicht. Mit Kartoffeln kochen habe ich aufgehört und mit Kartoffeln geht es weiter. Um fünf vor sechs sind die Kartoffeln noch immer nicht weich. Ich kümmere mich kurz um das Fingerfood. Das Interessieren Kamera und Regie allerdings herzlich wenig. Brot, was ist mit dem Brot? Ofen hoch heitzen, aber pronto. Jetzt wird parallel gearbeitet. Kartoffel sind fertig. Jetzt will man wissen wie es weitergeht. Die Kamera hängt im Topf. Kartoffeln abdampfen lassen, ab durch die Presse, Butter und Sahne dran, dann steht die Basis. Nun muss mit Trüffel verfeinert und geschmacklich abgerundet werden. Für das Rauchpüree, Rauchöl und noch etwas Sahne. Über Kalorien darf man sich an diesem Abend keine Gedanken machen. Trüffelpü und Rauchpü in den Spritzbeutel und beiseite legen. Auf eine erfrischende Dusche verzichte ich. Die ganzen letzten Tage waren wir immer ordentlich zu spät. Dieses Mal allerdings stehen die Gäste bereits um viertel nach Sechs im Treppenhaus. Ich ziehe mich fix um. Ab jetzt habe ich es eh nicht mehr in der Hand.
Mensch, da kommen Gäste. Ich hab' da mal schnell was vorbereitet. Der Hund ist ausquartiert. Der Flur umgeräumt. Die Tafel gedeckt. Die Stube gesaugt und mein Büro gewischt. Die Häppchen zugeschnitten. Für jeden einen Teller. Im Kühler lagern vier Flaschen Champagner. Alle offen. Eine Wahl gibt es heute nicht. Die Flaschen haben gefälligst alle leer zu werden. Letzte Anweisungen von der Regie. Dann poltert es auf der Treppe. Ich habe das Gefühl, als sei das Licht heute besonders unschmeichelhaft gewählt. Drei Kameras und vier Gäste. Die eine hält unaufhörlich auf mich, die anderen beiden, auf die Gäste, die da die Treppe hochgeschlichen kommen. Man spürt förmlich die Spannung. Letzter Tag. Das Finale und ich habe es in der Hand es zu reißen oder völlig zu versauen. Und diese Ehre lasse ich mir nicht nehmen. Apéritif! Endlich Champagner. Paul Roger, Michel Arnould et fils blanc et rosé, Roederer. Für jeden Geschmack etwas dabei. Ich hau auf die Kacke, aber so war es auch gedacht. Dazu Moussaka, confierte Entenkeule und Kalbstartar mit Wachtelei.
Harry kann es kaum glauben, mit welcher Ruhe ich das ganz bestreite. Das täuscht, was soll ich mir auch sonst die Blöße geben. Ich verabschiede mich für die Vorspeise. Von der der Aufnahmeleiterin werde ich aus der Szene gezogen. Meine Gäste sollen sich noch etwas selbst mit einander beschäftigen. Mir brennt es auf den Nägeln. Ich wll es endlich hinter mich bringen. Man ist sichtlich beeindruckt, aber Punkte habe ich noch kein gemacht. Der Aperitif obglitarisch aber noch nicht relevant.
Die Vorspeise: Périgordspinat mit Mascarpone, Ravioliei und Trüffelschaum. Der Spinat schmort in der Pfanne mit gedünsteten Zwiebeln und der Mascarpone. Die Mascarpone abgeschossen, aber sie verhält sich harmonisch im heißem Zustand. Es vermischt sich alles hübsch miteinander. Der Schaum steht nicht so wie sonst. Ich baue auf. Etwas Pü ins Ziehglas. Das Pü hat einzig und allein die Funktion das Ziehglas abzudichten. Aber die Gourmands werden das anders sehen. Auf das Trüffelpü kommt der Spinat, der Ravioli und der Schaum. So geht das ganze an den Tisch. Den Faustgroßen Trüffel stelle ich separat an den Tisch. Noch bevor ich mit der letzten Vorspeise an den Tisch komme ist die Pilz verschwunden. Auf die Androhung, die Vorspeise kalt genießen zu müssen, ist die Knolle wieder da. Na bitte.
Das die Gläser keinen Boden haben entdeckt Kolja als erstes. Für derlei Effekte ist in jedem Fall eine Servicekraft erforderlich, die ein Eingreifen in jedem Falle verhindert hätte. Es hätte also so aussehen müssen: Jeder zieht das Glas nach oben. Dadurch baut sich die Vorspeise, wie von selbst auf; ein Schaumhäubchen, der wie eine Krone auf dem Ganzen sitzt. Zum Schluss wird das ganz von frisch gehobeltem Trüffel abgerundet. Das erfordert Routine, die ich nicht habe. Die Wirkung ungebrochen, aber nicht ganz erreicht. "Okay, zehn Minuten Pause, dann geht es weiter mit den Interviews."
Die schmutzigen Teller werden noch benötigt. Man raucht am offenen Fenster zum Hof. In der Wohnung geht nicht, wegen der Scheinwerfer und einen Balkon hab' ich nicht. Seit neun Jahren ist Schluss mit Rauchen, aber heute Abend teile ich mir eine mit Kolja.
Zur Hauptspeise lasse ich mich schließlich endgültig aus der Ruhe bringen. Optimal ist die Vorspeise nicht gelaufen, aber sie hat die Wirkung nicht verfehlt. Man erwartet eine Steigerung. Man erwartet Leistung. Das drückt auf die Stimmung.
Zur Hauptspeise gibt es die Ente. Die berühmte Challansente. Glückliches Getier bis zum Schluss. Französische Ente aus der Bretagne und nicht aus heimischer Massentierhaltung. Geschmacklich ist Challansente wirklich eine Offenbarung, sofern man sie nicht zu früh serviert. "Wie lange noch`" ""Wann kann die Hauptspeise!" - klassischer Fehler. Ich habe mich unter Druck setzen lassen. Und so ging die Ente etwa zehn Minuten zu früh, mit anderen Worten halb roh raus. Zwar warm, aber durchweg blutend. Das Rauchpüree nicht streichzart. Aber ich wollte es nur noch hinter mich bringen. Die Taktik einfach tödlich.
Im Normalfall hätte ich niemals die Teller rausgeschickt, die ich angerichtet habe. Nicht nachgedacht, geblendet und vernebelt. Lass Blut durch meine Adern fließen, das hat meine Hauptspeise wohl auch gedacht. Das Großhirn setzt aus - Final Check verpasst. Stimmen Geschmack und Konsistenz? Drucktest, Temperaturtest oder wenigstens die Optik? Es wäre so ein leichtes gewesen, abzuwarten und einfach neu anzurichten. Der Druck zu groß.
Ich hätte genug Teller gehabt, Ich hätte genug Rohprodukt, selbst genug Ente gehabt, trotzdem habe ich es versaut. Es tut mir nicht nur um mich leid, sondern auch um alle, die mir Ihre Hilfe und Zeit in der Vergangenheit zur Verfügung gestellt haben und nun großes erwarten.
Damit ist die Nummer so gut wie gelaufen. Die Stimmung kippt. Das Dessert nur noch eine Pflichtübung, die dem allgemeinen Anspruch nicht mehr gerecht wird. Dessert ist nicht mein Ding. Es gerät zu herb. Der Champagner löst zu viele Bitterstoffe, keine Süße mehr vorhanden. Jessica spricht von bitter, dass gleich andere mit aufnehmen. Damit ist der Drops gelutscht. Ich bin durch und zwar mit allem. Die Hauptspeise fast roh rausgeschickt. Das Dessert zu sauer, eigentlich bitter. Was jetzt noch kommt; Routine.
Kolja hat eine astreine Vorlage gebracht und mich völlig damit aus der Ruhe. Wann der Zeitpunkt kommt, war mir unklar, aber dass er käme schon. Leider zu früh. Wieder stehe ich mit am offenen Fenster und rauche eine mit den Anderen. "Zum Interview, bitte." Ich komme. "Wie beurteilst Du Deine Hauptspeise?" "Misslungen." "Wieso?" - Die berühmten W-Fragen und man beantwortet sie, wie es sich jeder Psychologe wünscht. Detailiert und umfangreich. Eine W-Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Man antwortet immer im ganzen Satz und das mit einer Wertung. "Wieviele Punkte würdest Du dir selbst für deine Hauptspeise geben?" - Wieder eine W-Frage. "Nicht mehr als sechs Punkte." sage ich niedergeschlagen.
Es geht mir ja gar nicht um den Gewinn, nur um Bestätigung bei meinem Projekt: 'Jetzt werde ich Sternekoch!' Aber die Jury ist erbarmungslos. Die härteste Jury ist immer Dein Publikum. Deine Kritiker erfassen immer nur Momentaufnahmen und Deine Fans stehen zu allem, was Du lieferst. Die Generalprobe lief Eins-A durch. Die Premiere scheisst ab. Eine Woche ist um. Wir haben alle gegeben was wir konnten und haben gezeigt, was wir konnten. Jeder für sich auf seine Art; mit allen Stärken und Schwächen.
Es ist an der Zeit, wieder Motivation aufzubauen, denn wir alle warten nun auf die endgültige Punktevergabe und den unvermeidlichen Sieg, den nun einer von uns erleben wird. Als Gastgeber darf ich den Sieger, der sich in einem Umschlag unter einer silbernen Cloche verbirgt zu Tische tragen. Am Kopf der Tafel sitzt Kolja; beunruhigt. Neben mir sitzt Harry; beunruhigt. Mir schräg links gegenüber sitzt Jessica; beunruhigt. Mit direkt gegenüber sitzt Martin; beunruhigt. Keiner rechnet mit dem Sieg, aber jeder hofft auf den einen Punkt mehr, der einen selbst von seinem Nachbarn um nur eine winzige Nuance abheben wird. Die Umschläge werden in der Reihenfolge verteilt, wie gekocht wurde. Die Punkte wurden ebenso verlesen. Jessica:" Ich habe neunundzwanzig Punkte." Harry;"Ich habe neunundzwanzig Punkte." Martin:" Ich habe, äh, dreiundzwanzig Punkte." Kolja:"Ich habe dreiunddreißig Punkte." - und sagte weiter nichts mehr. Alfons:"Ich habe neunundzwanzig Punkte." Ich lächle gequält in diese Runde. Dass ich es selbst in der Hand hatte wusste ich, aber die Vorstellung es hätte nur einen Punkt bedurft, um mir selbst einen alleinstehenden Rang zu verschaffen, hätte vermutlich ausgereicht, um wohl noch meine letzte Energien aus der Reserve zu locken. Wir kochen alle gut. Jeder auf seinem Gebiet. Jessica bunt, Harry pfälzisch, Martin gegrillt, Kolja französisch und ich halt, nun ja franzöisch avantgardistisch, so wie ich es eben kennengelernt habe. Französisch bunt, geräuchert und mit französisch Schwekendiek'scher Handschrift.
Ich habe mit zwei weiteren Kandidaten den zweiten Platz erreicht. Es ist allerdings ebenfalls einmalig in der Geschichte des "perfekten Dinners" auf VOX passiert, dass drei Kandidaten gemeinsam den zweiten Platz belegen konnten. Wir haben uns alle nichts geschenkt und haben uns allen nichts gegönnt.
Das Siegertreppchen ist nun wie folgt belegt. Es siegte Kolja, gefolgt von Jessica, Harry und mir, auf dem dritten dann Martin. Es war schwer jetzt gerade eine Einschätzung abzugeben. Kolja siegte, weil er die meisten kulinarischen Highlights bieten konnte. Hummersauce, Hummersüppchen, Stopfleberpraline, die Hauptspeise und erst das Dessert konnten einfach nur Punkten.
Epilog: Das Ende vom Anfang
Was noch fehlt ist die Auflösung. Wer ist denn nun der Profi unter uns? Ist es doch Jessica oder Martin? Die Blicke schweifen zwischen Martin und mir hin und her. Für eine Sekunde erwarte ich, dass sich nun Jessica von Ihrem Sitz erhebt. "Es tut mir leid, dass ich Euch die Woche täuschen musste. Ihr seid wirklich ganz ganz tolle Leute. Und alles, was ich euch aus meinem Leben erzählt habe ist wahr. Das einzige, was nicht stimmt ist mein Name. Ich heiße in Wirklichkeit Nico und nicht - Kolja!" Er erhebt sich von seinem Platz und schaut ein wenig unsicher in die Runde. Wir sind alle sprachlos. Da haben wir doch alle wirklich bis zum Schluss daneben gelegen. Harry kriegt sich vor Lachen kaum noch ein. Jessica kann kaum glauben, dass der Kandidat, dem man es am ehesten zugetraut hätte bis zum Schluss ausgeblendet worden ist. Martin, der sich bis gestern noch selbst als der Profi geoutet hatte grinst verschmitzt. Im Grunde genommen, bin ich froh, denn der Sieg ist verdient und mit dem geteilten zweiten Platz kann man wirklich zufrieden sein. Es wäre aber eigentlich noch besser gewesen, wenn wir alle vier die gleichen Punkte erreicht hätten. Denn kochen kann jeder von uns. Und eines kann man mir wirklich glauben. Es ist noch mal eine ganz andere Nummer, wenn Scheinwerfer und Kameras in der Küche stehen und entsprechend viele Leute um einen herum tanzen.
Nach etwas mehr als zwei Jahren Kochexzessen habe ich nun meinen Abschluss gemacht. Ich habe Lebensmittel kennengelernt von deren Existenz ich so niemals erfahren hätte. Ich habe neue Leute kennengelernt, die mir auf gewöhnlichem Wege niemals begegnet wären. Neue Freunde gefunden, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Ich habe gelernt, dass Tomaten im Winter nicht natürlich wachsen. Beste Zutaten ergeben beste Speisen. Ich habe gekocht, gedünstet, pochiert, mehliert, frittiert, paniert, tourniert, passiert, gegrillt, geschmort, gebacken, getrennt, gedämpft, zerstoßen, gehackt, geschnitten, plattiert, geschält geraspelt, gehobelt, gerührt, geschwitzt, gratiniert, reduziert, gebraten, sautiert, ausgelassen und abgelöscht. Es gilt nun neue Wege zu bestreiten. Ein Stern, der meinen Namen trägt wird es in dieser Form nicht geben. Aber Kochen für Publikum schon. Schon bald wieder werde ich die Türen zu meinem Donnerstagsrestaurant öffnen. Es gibt noch mehrere Leute, die so versessen auf das Kochen sind und Freizeit opfern und alles dafür geben meisterlich zu präsentieren. Ich habe sie in der letzten Woche kennengelernt. Nun, die muss es doch auch in meiner Stadt geben. Es ist einfach das Größte mit gutem Essen und tollen Speisen ein Hand voll Menschen, die sich im Grunde fremd sind für ein paar Stunden einander näher zu bringen und zu begeistern. Mein DORES hat Platz für genau sechs Leute, alle an einem Tisch und alle glücklich, wenn sie spät am Abend nach Hause gehen. Das ist es, was mich froh macht.
Es folgt eine allerletzte Einstellung. Alle noch einmal an meinen eigentlichen Arbeitsplatz. Zehn! Die Spannung ist gelöst. Neun! Die Kräfte sind verbraucht. Acht! Fünf Köche. Sieben! Drei Kameras. Sechs! Zwei mal Ton. Fünf! Drei Mal Aufnahmeleitung. Vier! Und unser Babysitter! Drei! Das Licht an der Kamera beginnt schnell zu blinken. Zwei! Fünf Kandidaten In alberner Manier. Eins! … machen ein allerletztes Gruppenfoto. Klick. Und damit schließt sich diese Episode.