Mein persönliches Highlight: VOX - das perfekte Dinner

Wen es interessiert, wie ich die Produktionszeit des "perfekten Dinners" auf VOX erfahren wird hier fündig. Der Produktionszeitraum für die Sendewoche vom 05. bis 09. März war gleich zu Anfang des Jahres - also etwa acht Wochen vor der Sendung.

Mit meinem Gastgebertag am Freitag endet eine anstrengende Woche und vorerst auch dieser Blog. Zu einem Stern habe ich es zwar nicht gebracht, aber kochen, das hab ich gelernt.

Dienstag, 4. September 2012

51. Die Party ist vorbei - Nachruf

Liebe Anhänger der Gaumenfreuden,
der guten Weine 
und der ausgelassenen Stimmung, 

ich fürchtete, nach Ausstrahlung des "perfekten Dinners" auf VOX im März 2012 man würde mir aus Rachegedanken meinen Hund meucheln, nur weil ich drei Challansenten filitiert und anschließend auf's unsanfteste Verhackstückte. Das Echo war dennoch enorm. Die Presse stand vor der Tür und lobte meine DORES-Veranstaltungen, ein anderes Blatt lobhudelte: "Endlich ein Trend, der vor Berlin in unsere Stadt kam". Selbst der Merian wollte Bericht erstatten über mein Wohnzimmerrestaurant. 

Nach wie vor koche ich gerne und würde gerne auch weiterhin dazu einladen, doch leider ist dies in der Realität kaum möglich. Mir hat das Kochen meine Einstellung zum Nahrungsmittel gründlich verändert. Und seit dem ich angefangen habe die Kosten auf die teilnehmenden Gäste umzulegen, bin auch ich unter betriebswirtschaftlichen Druck geraten. Die Weinauswahl fiel etwas günstiger aus. Champagner wurde von Winzersekt abgelöst und so manches Mal ist eine Portion kleiner ausgefallen als gedacht, und vor allem  hatten Ersatzprodukte Einzug gehalten, weil es einfach nicht anders ging. In meinem DORES sollte es Lebens- und Nahrungsmittel geben, die höchster Güte entsprechen, handwerklich verarbeitet worden sind und frei von jeglichen Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern. Tierische Lebensmittel sollten frei von Antibiotika sein und während ihrer Lebensphase mindestens vier Fünftel dieser Zeit Ihre Krallen, Hufe und Läufe auf freien Boden gestellt haben. So etwas gibt es noch, allerdings nicht für 2€ das Kg Fleisch. Und vor allem nicht immer und zu jeder Zeit. 

Ich koche nun derzeit ausschließlich an einem Donnerstag und so ist Lebensmittelbevorratung, wie in der herkömmlichen Gastronomie kaum möglich. Die Vorbereitungen beginnen nicht selten 48h im Voraus. Die Weine kosten Geld, Champagner kostet Geld und vor allem beste Rohstoffe kosten eine Menge Geld. Diese auf die Teilnehmer umzulegen bedeutet mehr als 120 € pro Teilnehmer; ein Preis den man auch in guten Restaurants bei Profis bezahlt. Das lohnt sich einfach nicht. 
Ich habe die DORES-Veranstaltungen gemacht, um neue Sachen auszuprobieren, vor Publikum zu kochen, zu trainieren, wenn man es sportlich sehen möchte. Da ich mich  nun bezahlen lasse, bereite ich vor, übe und probiere, damit es am Abend auch ja klappt. - Das geht auf's Zeitkonto und auf den Geldbeutel. Dazu kam, dass gemachte Zusagen kurzfristig abgesagt wurden oder Gäste einfach nicht erschienen sind. Vorgehaltene Rohstoffe, die nie ausgeglichen worden sind. 

Gerne bin ich wieder einmal bereit mich einem Publikum zu stellen und das DORES immer wieder aufleben zu lassen. Wer also 6 Personen oder mehr dazu motivieren kann einen unvergesslichen Abend in meinem DORES zu genießen, darf gerne seinen Anmeldungswunsch platzieren. Aber nicht vergessen - Nur Donnerstags.

In diesem Sinne wünsche ich allen DORES-Fans eine schöne Zeit bis man sich wieder einmal gemeinsam an einen Tisch setzt, um neue Dinge auszuhecken. 

ALFONS


Sonntag, 8. Januar 2012

50. Finale in sechs Teilen - TEIL 6 - FREITAG

Der Abschluss

In vierzig Stunden wird alles vorbei und Geschichte sein. Dann werden andere kommen und sich fünf Tage lang bekochen, kritisieren und bewerten. Es werden neue Freundschaften geschlossen und Hasslieben entstehen. Da wird es die Allergiker, Besserwisser und Nichtsesser geben. Es kommen neue Kandidaten, die alles geben. Höchste Punktzahlen holen wollen und wiederum die, denen alles egal ist. Eine Woche unter Strom stehen, nicht wissen, welche Statements zum besten gegeben werden, welche persönliche Meinungen geäußert werden und in welche Fettnäpfchen mit großem Fuße getreten wird. Denn was draus gemacht wird, weiß ganz allein der Regisseur. Und schließlich Woche für Woche im Vorabendprogramm für eine Stunde lang das gleiche Spiel. Die Zeit zwischen Feierabend und Tagesschau. Für die Zuschauer willkommende Unterhaltung zum Abendbrot. Durchzappen oder hängenbleiben. Ein bisschen entspannen oder mitfiebern. Das Interesse ist da, aber auch Aufmerksamkeit? Wohl eher weniger. Die Gelegenheit nach nur einem dummen Kommentar weiter zu schalten oder sich daran ergötzen, wie sich das deutsche menschliche Elend nur so zur Schau stellen kann.

Aber ich kann sagen, ich war dabei. Für mich war es ein riesen Abenteuer. Eine Woche voller Spannung und Aufregung. Doch bevor diese Woche nun endlich zu Ende geht, fahre ich erstmal nach Hause. Der Koffer voll mit Schmutzwäsche und auch ich rieche streng. Ich freue mich auf eine lange Dusche und dann  stürze ich mich in Vorbereitungen, denn nun kommt: Mein perfektes Dinner!

Dieser Tag gilt einzig und allein dazu zu reisen und vorzubereiten. Ich komme erst spät nach Hause, der Tank ist leer. Die Akkus auch. Es ist schwer so aus heiterem Himmel neue Energie zu aktivieren. Als die Wohnungstür ins Schloss fällt macht sich eine weitere völlig unerträgliche Lautstärke breit. Stille. Nach etwa einer Stunde sammle ich mich und schreibe meinen Einkaufszettel. In zwei Stunden kommt meine bestellte Ware. Alle Weichen sind gestellt. Alle Zeichen auf Menü. Ich koche mein Menü, nicht mehr nicht weniger. Alles andere ist Überfluss und wird zu dem nicht bewertet. Wer immer noch glaubt ein perfektes Dinner zu kreieren und zu servieren der täuscht sich. Es wird in erster Linie eine Fernsehshow aufgezeichnet, die das Kochen zum Inhalt hat. Der Weg ist das Ziel. Nach fünfundvierzig Minuten stehe ich an der Kasse. Kaum zu glauben, aber ich habe fast alles bekommen. Der Rest wird geliefert. Und beim Gemüsehändler hole ich noch Feigen, Lauch und etwas Dekokraut, wie Brunnenkresse und Kerbel. Zu Hause angekommen, sind meine Enten, der Spinat und so allerlei andere schöne Dinge bereits da. Die Vorbereitung kann beginnen. Der Nachmittag ist weit fortgeschritten und ich glaube der Abend wird es auch sein, bis ich fertig bin. Drei Gänge und fünfzehn Komponenten, Fingerfood und Brot. Ärmel hoch und los. Alles was nicht superfrisch gemacht werden muss, wird schon mal vorbereitet. Eine Ladung Parfait für das Dessert. Blätterteig ausgestochen, Spinat geputzt, Haselnüsse eingelegt, Nudelteig geknetet, Hippen gebacken. Bei den Hippen stelle ich fest, dass Zucker zur Neige geht. Ein überflüssige Tatsache. Neunundvierzig Cent und fünfundzwanzig Minuten später. Schlechte Bilanz. Strudel backen. Au weia, der Brickteig ist schimmlig. Jacke überwerfen und auf zum Asialaden. Der nächste ist mitten in der Stadt und das im schönsten Feierabendverkehr. Zwei Euro neunundvierzig und vierzig Minuten später. Eine noch schlechtere Bilanz. Die Hippen und die Strudel backen. Alles was heute fertig wird, muss ich morgen nicht machen. Eigentlich einleuchtend. Der Tipp der anderen, alles fertig zu haben, oder doppelt bereitzustellen, nehme ich mir zu Herzen. Am Ende nützt es mir aber trotzdem nichts.  

Der Spinat ist geputzt, Kartoffeln und Trüffelschaum gehen erst morgen, der Nudelteig fertig. Enten auslösen und Fond ansetzen ist erst bei laufenden Kameras möglich. Das wird eh so ein Ding, da die französischen Enten hier komplett liegen. Der Fleischkonsument im allgemeinen kann sich allerdings nur schwer damit auseinandersetzen, dass ein Tier unter Umständen noch Federn, Augen oder einen Schnabel haben könnte. Nur sollte ein Fleischesser nicht vergessen, dass Brüstchen, Keulen und Filet selten in der Styroporverpackung zur Schlachtbank geführt worden sind. 
Meine Erfahrungen mit dem toten Tier hatte ich bereits in Kapitel : Der Tag der toten Tiere geschildert. 
Die Strudel sind gerollt und ausgebacken, die Haselnussmilch angesetzt und Rauchmandeln gehackt. Das Calvadossüppchen vorbereitet, der Blätterteig für den Knusperapfel ausgestochen. Die Vorbereitung steht und gegen zwanzig Uhr lösche ich das Licht in der Küche. 
Neunzig Minuten später klingelt das Telefon. Zwei meiner Mitkandidaten sind nun in der Stadt angekommen. Man hat gegessen und geht nicht weit vom Bahnhof entfernt noch etwas trinken. Ich befinde mich zwar in einem Zustand völliger Müdigkeit und innerer Aufgewühltheit, halte aber ein Sauftreffen jetzt genau für das Richtige, um diesen Abend abzuschließen. Schließlich läuft das erste Filmteam ja erst morgen gegen acht Uhr morgens bei mir auf. 
In einer Pseudo-Schickimickbar in unmittelbarer Nähe des Bahnhofes kippt man gemeinsam ein paar Drinks. Ich bleibe bei Sekt, bzw bekomme einen Prosecco. Der Unterschied zwischen einem Sekt und einem Prosecco scheint dem Servicepersonal ziemlich schnurz zu sein. Ich freue mich in gewohnt lockerer Umgebung und Gesellschaft zu sein. Nach soviel gemeinsamen Tagen versteht man sich schon nahezu blind. Das tut gut. Nach nur einer Stunde und drei Proseccos verabschiede mich. Für mich wird es Zeit, mein großer Tag liegt keine zwei Stunden mehr vor mir. 

Showbiz ist halt Showbiz. Ich koche zwar den Freitag, aber durch die viele Reiserei sind zwei Tage Leerlauf entstanden und so ist mein Aufnahmetag der Sonntag. Mein Wecker klingelt täglich um sechs Uhr dreißig wegen des Hundes, außer Sonntags. Etwas irritiert schlage ich die Augen auf. Es ist viertel vor acht. In fünfzehn Minuten, wird das erste Filmteam hier aufschlagen, sofern sie denn pünktlich sind. Hektik! Der Hund muss raus. Pipi, Kacka, ab nach Hause. Noch zwanzig Brötchen für die drei Crews besorgt, die heute sich über den ganzen Tag in meiner Wohnung ausbreiten werden. Ab jetzt wird es spannend. Behind the scenes. 
Der letzte Countdown. Letzte Interviews. Draußen ist es noch zu dunkel, um "Ankunftsaufnahmen" zu machen. Als erstes die Wohnungsführung. Schließlich muss man ja wissen, wo man sich befindet. Mit meinen Einkäufen hetze ich die Treppe hinauf. "So, nun kommt doch erstmal rein!" Alles noch einmal. Bitte beim Du bleiben, nicht beim ihr. Und noch einmal: "So nun komm doch erstmal rein!" Eine Nachbarin läuft mir durch das Bild. Fragende Blicke:'Was ist denn hier los?' 'Klappe halten und weiter!' Ich hetze ein drittes Mal mit meinen Einkäufen die Treppe hoch. Ein Tisch, der rein zufällig bei mir im Flur rumsteht dient als Ablagefläche für die Kisten.  Ich zeige meine Stube, meine Kochbücher, meine Bildbände und leite über in den Essbereich. Einmal links, einmal rechts an der Kamera vorbei. Wir bleiben bei der ersten Variante. Alles natürlich, nichts gestellt. Das Esszimmer noch nackt. Der Zusammenhang fehlt noch. Also noch einmal alles von vorn. Die Gemüsekiste auf dem Tisch im Flur, der da normalerweise nicht steht, abgestellt. Ein kurzes Statement und ab ins Wohnzimmer. Kochbücher, Bildbände und ein Statement von mir, warum dieses Zimmer so interessant sei, es beim Stöbern genauer zu erkunden. Links an der Kamera vorbei und ab ins Esszimmer, dass an normalen Wochentagen mein Büro darstellt. Von da aus zurück in den Flur und dann ab in mein Fotostudio. Schwenk, Schwenk, und plötzlich sitze ich in meinem Kulissenthron und gebe meine Meinung zum Besten. Die "Arri"-Lampen glühen, meine Wangen auch. Keine Zeit für Make-up. Nachdem ich meine Meinung über meine allgemeine Arbeit abgeben darf, habe ich mich an die Vorbereitung meines Dinners gemacht. Ab jetzt wird es eklig. Da liegt nun Donald Duck vor mir. Im Ganzen mit Schnabel und allem drum und dran. Für meinen Hauptgang benötige ich nur die Brüstchen. Die Keulen werden eingefroren. Die kann ich noch immer zu einer anderen Gelegenheit gebrauchen. Schade wäre es nur, wenn ich nur die Brüste verwendet hätte und der Rest in den Abfalleimer gewandert wäre. Die Brüste werden ausgelöst, die Keulen auch. Das Fett dieser Ente ist einfach zu viel. Mit einem Küchenbeil und einigem Kraftaufwand werden die Knochen zerhackt. Was nach einem Blutbad und Massaker aussieht dient einzig und allein dazu die Oberfläche des Knochenmaterials zu vergrößern, damit beim Rösten und Auskochen möglichst viele Aromen in die Flüssigkeit ausgeschwemmt werden können. Ein Fond und später auch die Soße kommen halt nicht von ungefähr. 

Meine Vorspeise habe ich vegetarisch gewählt. Es muss nicht immer Fleisch sein. Und Trüffel geben dem ganzen ohnehin schon eine besondere Note. Bei der Ente fiel die Wahl auf eine französische Ente aus dem Challans. Ich lege Wert darauf, dass diese wenigstens bis zu Ihrem Tode ein schönes Leben gehabt hat. Die zur Zucht ausgewählten Tiere können sich frei zwischen den Höfen und den Kanälen bewegen. An den Ufern der Kanäle befinden sich kegelförmige Nester aus Binsen. Die weiblichen Enten werden sowohl von den Erpeln der Zucht, als auch von vorbeiziehenden Wilderpeln befruchtet. Die geschlüpften Enten lässt man entweder bei der Ente oder vertraut sie einer Zwerghenne an. Wenn sie älter sind, finden sie zusätzlich zu der vom Züchter gegebenen Nahrung Raupen, Insekten, Larven, Kaulquappen und Schnecken aller Art. Mit 8 Wochen etwa kommen sie in eine Einfriedung für eine intensive Mast. Die Enten von Gérard Burgund, um nur ein Beispiel zu nennen, werden in Halbfreiheit aufgezogen. Und das klingt einfach anders als Massenzucht, gekappte Schnäbel bei Geflügel, Käfigzucht, Knochenbrüche oder große Herden, die zwar draußen sind, aber dennoch nur Gras platt treten können. Mal ganz zu schweigen von der Tierhaltung zur Herstellgun von Entenstopfleber. 
Gegen zwölf Uhr drehen wir noch schnell meine Ankunft mit meinen Einkäufen vor dem Haus. Nun ist es hell genug draußen. Da die Produktion ja schließlich an einem Sonntag stattfindet brauchen wir noch eine sinnvolle Überleitung, wie ich zu meinen Lebensmitteln kam. 
Das Team baut ab, ich baue auf. Das nächste Team kommt erst in neunzig Minuten. In der Zwischenzeit darf ich den Tisch dekorieren. Eine befreundete Floristin sorgt für den floralen Kick auf dem Tisch. Das macht sie wirklich gut. Dann habe ich noch etwas Zeit, in der ich in der Küche noch etwas weiter vorbereiten kann. Der Fond muss weiter ein- und auskochen. Ich fange schon mal mit den Ravioli an, denn das ist eine elendige Sauerei. Der Nudelteig wird plattgewalzt bis auf die feinste Stufe, dann runde Taler ausgestochen und mit Eigelb eingepinselt. Anschließend werden Eigelbe vom Eiweiß getrennt. Am Besten macht man das in der Hand und lässt das Eiweiss durch die gespreizten Finger fließen und setzt das Eigelb dann auf das Nudelblatt. Mit einem zweiten Nudelblatt wird das ganze dann Luftdicht verschlossen. Die Herausforderung besteht darin, dass das Eigelb nicht kaputt gehen darf, denn sonst läuft einem später der ganze Ravioli aus. Sechs Ravioli muss ich machen, vier Eier gehen in die Dutten. Mehr als vier Eier habe ich dann nicht mehr. Da darf also gar nichts mehr passieren, sonst stehe ich echt dumm da. Als ich bis zu den Ellenbogen in Mehl, Griess und Eierabfall stecke klingelt es. Team zwei geht an den Start. 

Die Flutlichtbeleuchtung steht. Ab jetzt wird nur noch in der Küche gedreht. Wir fangen damit an, dass wir den Fond umsetzen. Durch das weitere Anrösten von Gemüsen steht die Küche innerhalb weniger Minuten unter Qualm. Jeder Handgriff wird kommentiert. Man fühlt sich wichtig, wie ein Fernsehkoch. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass man einfach die eine oder andere Sendung zu viel gesehen hat. "Ich schneide jetzt die Karotten, dann die Zwiebeln und dann den Sellerie….." "Äh, du brauchst nicht jeden Schritt zu kommentieren." "Sorry…" Als nächstes machen wir uns an das Parfait, also das Eis. Die Schritte sind routiniert. Die Kamera stört mich fast gar nicht. Das Übel werde ich ja dann auch erst in der Glotze sehen. Wahrscheinlich hat der Kameramann mich ständig von der Seite aufgenommen und im Profil habe ich kein Kinn. Da geht mein Gesicht direkt in den Hals über. Ich konzentrier mich auf meine Arbeit. Erdnüsse hacken, karamellisieren, noch mal hacken, Milch mit Honig und Vanilie aufkochen, Eigelb mit Zucker aufschlagen. Und immer schön in Bewegung bleiben. Das habe ich während meines ersten Praktikums bei Christian gelernt. Es flutscht. 

Für die Kamera mache ich noch einmal zwei Ravioli, diese Dinger mit dem Eigelb. Eine herrliche Schmiererei. Die Vorbereitung vor der Kamera ist zeitraubend. Meine Küche ist nicht die kleinste und bei jedem Handgriff hüpfen immer drei Leute um einen herum. 

Letzter Schichtwechsel. Kurz vor knapp kommt das letzte Team. Und die bleiben nun auch bis zum bitteren Ende. So ganz steht die Vorbereitung noch nicht. Mit Kartoffeln kochen habe ich aufgehört und mit Kartoffeln geht es weiter. Um fünf vor sechs sind die Kartoffeln noch immer nicht weich. Ich kümmere mich kurz um das Fingerfood. Das Interessieren Kamera und Regie allerdings herzlich wenig. Brot, was ist mit dem Brot? Ofen hoch heitzen, aber pronto. Jetzt wird parallel gearbeitet. Kartoffel sind fertig. Jetzt will man wissen wie es weitergeht. Die Kamera hängt im Topf. Kartoffeln abdampfen lassen, ab durch die Presse, Butter und Sahne dran, dann steht die Basis. Nun muss mit Trüffel verfeinert und geschmacklich abgerundet werden. Für das Rauchpüree, Rauchöl und noch etwas Sahne. Über Kalorien darf man sich an diesem Abend keine Gedanken machen. Trüffelpü und Rauchpü in den Spritzbeutel und beiseite legen. Auf eine erfrischende Dusche verzichte ich. Die ganzen letzten Tage waren wir immer ordentlich zu spät. Dieses Mal allerdings stehen die Gäste bereits um viertel nach Sechs im Treppenhaus. Ich ziehe mich fix um. Ab jetzt habe ich es eh nicht mehr in der Hand. 

Mensch, da kommen Gäste. Ich hab' da mal schnell was vorbereitet. Der Hund ist ausquartiert. Der Flur umgeräumt. Die Tafel gedeckt. Die Stube gesaugt und mein Büro gewischt. Die Häppchen zugeschnitten. Für jeden einen Teller. Im Kühler lagern vier Flaschen Champagner. Alle offen. Eine Wahl gibt es heute nicht. Die Flaschen haben gefälligst alle leer zu werden. Letzte Anweisungen von der Regie. Dann poltert es auf der Treppe. Ich habe das Gefühl, als sei das Licht heute besonders unschmeichelhaft gewählt. Drei Kameras und vier Gäste. Die eine hält unaufhörlich auf mich, die anderen beiden, auf die Gäste, die da die Treppe hochgeschlichen kommen. Man spürt förmlich die Spannung. Letzter Tag. Das Finale und ich habe es in der Hand es zu reißen oder völlig zu versauen. Und diese Ehre lasse ich mir nicht nehmen. Apéritif! Endlich Champagner. Paul Roger, Michel Arnould et fils blanc et rosé, Roederer. Für jeden Geschmack etwas dabei. Ich hau auf die Kacke, aber so war es auch gedacht. Dazu Moussaka, confierte Entenkeule und Kalbstartar mit Wachtelei. 

Harry kann es kaum glauben, mit welcher Ruhe ich das ganz bestreite. Das täuscht, was soll ich mir auch sonst die  Blöße geben. Ich verabschiede mich für die Vorspeise. Von der der Aufnahmeleiterin werde ich aus der Szene gezogen. Meine Gäste sollen sich noch etwas selbst mit einander beschäftigen. Mir brennt es auf den Nägeln. Ich wll es endlich hinter mich bringen. Man ist sichtlich beeindruckt, aber Punkte habe ich noch kein gemacht. Der Aperitif obglitarisch aber noch nicht relevant. 

Die Vorspeise: Périgordspinat mit Mascarpone, Ravioliei und Trüffelschaum. Der Spinat schmort in der Pfanne mit gedünsteten Zwiebeln und der Mascarpone. Die Mascarpone abgeschossen, aber sie verhält sich harmonisch im heißem Zustand. Es vermischt sich alles hübsch miteinander. Der Schaum steht nicht so wie sonst. Ich baue auf. Etwas Pü ins Ziehglas. Das Pü hat einzig und allein die Funktion das Ziehglas abzudichten. Aber die Gourmands werden das anders sehen. Auf das Trüffelpü kommt der Spinat, der Ravioli und der Schaum. So geht das ganze an den Tisch. Den Faustgroßen Trüffel stelle ich separat an den Tisch. Noch bevor ich mit der letzten Vorspeise an den Tisch komme ist die Pilz verschwunden. Auf die Androhung, die Vorspeise kalt genießen zu müssen, ist die Knolle wieder da.  Na bitte. 
Das die Gläser keinen Boden haben entdeckt Kolja als erstes. Für derlei Effekte ist in jedem Fall eine Servicekraft erforderlich, die ein Eingreifen in jedem Falle verhindert hätte. Es hätte also so aussehen müssen: Jeder zieht das Glas nach oben. Dadurch baut sich die Vorspeise, wie von selbst auf; ein Schaumhäubchen, der wie eine Krone auf dem Ganzen sitzt. Zum Schluss wird das ganz von frisch gehobeltem Trüffel abgerundet. Das erfordert Routine, die ich nicht habe. Die Wirkung ungebrochen, aber nicht ganz erreicht. "Okay, zehn Minuten Pause, dann geht es weiter mit den Interviews." 
Die schmutzigen Teller werden noch benötigt. Man raucht am offenen Fenster zum Hof. In der Wohnung geht nicht, wegen der Scheinwerfer und einen Balkon hab' ich nicht. Seit neun Jahren ist Schluss mit Rauchen, aber heute Abend teile ich mir eine mit Kolja.

Zur Hauptspeise lasse ich mich schließlich endgültig aus der Ruhe bringen. Optimal ist die Vorspeise nicht gelaufen, aber sie hat die Wirkung nicht verfehlt. Man erwartet eine Steigerung. Man erwartet Leistung. Das drückt auf die Stimmung. 

Zur Hauptspeise gibt es die Ente. Die berühmte Challansente. Glückliches Getier bis zum Schluss. Französische Ente aus der Bretagne und nicht aus heimischer Massentierhaltung. Geschmacklich ist Challansente wirklich eine Offenbarung, sofern man sie nicht zu früh serviert. "Wie lange noch`" ""Wann kann die Hauptspeise!"  - klassischer Fehler. Ich habe mich unter Druck setzen lassen. Und so ging die Ente etwa zehn Minuten zu früh, mit anderen Worten halb roh raus. Zwar warm, aber durchweg blutend. Das Rauchpüree nicht streichzart. Aber ich wollte es nur noch hinter mich bringen. Die Taktik einfach tödlich. 

Im Normalfall hätte ich niemals die Teller rausgeschickt, die ich angerichtet habe. Nicht nachgedacht, geblendet und vernebelt. Lass Blut durch meine Adern fließen, das hat meine Hauptspeise wohl auch gedacht. Das Großhirn setzt aus - Final Check verpasst. Stimmen Geschmack und Konsistenz? Drucktest, Temperaturtest oder wenigstens die Optik? Es wäre so ein leichtes gewesen, abzuwarten und einfach neu anzurichten. Der Druck zu groß. 

Ich hätte genug Teller gehabt, Ich hätte genug Rohprodukt, selbst genug Ente gehabt, trotzdem habe ich es versaut. Es tut mir nicht nur um mich leid, sondern auch um alle, die mir Ihre Hilfe und Zeit in der Vergangenheit zur Verfügung gestellt haben und nun großes erwarten. 

Damit ist die Nummer so gut wie gelaufen. Die Stimmung kippt. Das Dessert nur noch eine Pflichtübung, die dem allgemeinen Anspruch nicht mehr gerecht wird. Dessert ist nicht mein Ding. Es gerät zu herb. Der Champagner löst zu viele Bitterstoffe, keine Süße mehr vorhanden. Jessica spricht von bitter, dass gleich andere mit aufnehmen. Damit ist der Drops gelutscht. Ich bin durch und zwar mit allem. Die Hauptspeise fast roh rausgeschickt. Das Dessert zu sauer, eigentlich bitter. Was jetzt noch kommt; Routine. 

Kolja hat eine astreine Vorlage gebracht und mich völlig damit aus der Ruhe. Wann der Zeitpunkt kommt, war mir unklar, aber dass er käme schon. Leider zu früh. Wieder stehe ich mit am offenen Fenster und rauche eine mit den Anderen. "Zum Interview, bitte." Ich komme. "Wie beurteilst Du Deine Hauptspeise?" "Misslungen." "Wieso?" - Die berühmten W-Fragen und man beantwortet sie, wie es sich jeder Psychologe wünscht. Detailiert und umfangreich. Eine W-Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Man antwortet immer im ganzen Satz und das mit einer Wertung.  "Wieviele Punkte würdest Du dir selbst für deine Hauptspeise geben?" - Wieder eine W-Frage. "Nicht mehr als sechs Punkte." sage ich niedergeschlagen. 

Es geht mir ja gar nicht um den Gewinn, nur um Bestätigung bei meinem Projekt: 'Jetzt werde ich Sternekoch!' Aber die Jury ist erbarmungslos. Die härteste Jury ist immer Dein Publikum. Deine Kritiker erfassen immer nur Momentaufnahmen und Deine Fans stehen zu allem, was Du lieferst. Die Generalprobe lief Eins-A durch. Die Premiere scheisst ab. Eine Woche ist um. Wir haben alle gegeben was wir konnten und haben gezeigt, was wir konnten. Jeder für sich auf seine Art; mit allen Stärken und Schwächen.

Es ist an der Zeit, wieder Motivation aufzubauen, denn wir alle warten nun auf die endgültige Punktevergabe und den unvermeidlichen Sieg, den nun einer von uns erleben wird. Als Gastgeber darf ich den Sieger, der sich in einem Umschlag unter einer silbernen Cloche verbirgt zu Tische tragen. Am Kopf der Tafel sitzt Kolja; beunruhigt. Neben mir sitzt Harry; beunruhigt. Mir schräg links gegenüber sitzt Jessica; beunruhigt. Mit direkt gegenüber sitzt Martin; beunruhigt. Keiner rechnet mit dem Sieg, aber jeder hofft auf den einen Punkt mehr, der einen selbst von seinem Nachbarn um nur eine winzige Nuance abheben wird. Die Umschläge werden in der Reihenfolge verteilt, wie gekocht wurde. Die Punkte wurden ebenso verlesen. Jessica:" Ich habe neunundzwanzig Punkte." Harry;"Ich habe neunundzwanzig Punkte." Martin:" Ich habe, äh, dreiundzwanzig Punkte." Kolja:"Ich habe dreiunddreißig Punkte." - und sagte weiter nichts mehr. Alfons:"Ich habe neunundzwanzig Punkte." Ich lächle gequält in diese Runde. Dass ich es selbst in der Hand hatte wusste ich, aber die Vorstellung es hätte nur einen Punkt bedurft, um mir selbst einen alleinstehenden Rang zu verschaffen, hätte vermutlich ausgereicht, um wohl noch meine letzte Energien aus der Reserve zu locken. Wir kochen alle gut. Jeder auf seinem Gebiet. Jessica bunt, Harry pfälzisch, Martin gegrillt, Kolja französisch und ich halt, nun ja franzöisch avantgardistisch, so wie ich es eben kennengelernt habe.  Französisch bunt, geräuchert und mit französisch Schwekendiek'scher Handschrift. 

Ich habe mit zwei weiteren Kandidaten den zweiten Platz erreicht. Es ist allerdings ebenfalls einmalig in der Geschichte des "perfekten Dinners" auf VOX passiert, dass drei Kandidaten gemeinsam den zweiten Platz belegen konnten. Wir haben uns alle nichts geschenkt und haben uns allen nichts gegönnt. 

Das Siegertreppchen ist nun wie folgt belegt. Es siegte Kolja, gefolgt von Jessica, Harry und mir, auf dem dritten dann Martin. Es war schwer jetzt gerade eine Einschätzung abzugeben. Kolja siegte, weil er die meisten kulinarischen Highlights bieten konnte. Hummersauce, Hummersüppchen, Stopfleberpraline, die Hauptspeise und erst das Dessert konnten einfach nur Punkten.

Epilog: Das Ende vom Anfang

Was noch fehlt ist die Auflösung. Wer ist denn nun der Profi unter uns? Ist es doch Jessica oder Martin? Die Blicke schweifen zwischen Martin und mir hin und her. Für eine Sekunde erwarte ich, dass sich nun Jessica von Ihrem Sitz erhebt. "Es tut mir leid, dass ich Euch die Woche täuschen musste. Ihr seid wirklich ganz ganz tolle Leute. Und alles, was ich euch aus meinem Leben erzählt habe ist wahr. Das einzige, was nicht stimmt ist mein Name. Ich heiße in Wirklichkeit Nico und nicht - Kolja!" Er erhebt sich von seinem Platz und schaut ein wenig unsicher in die Runde. Wir sind alle sprachlos. Da haben wir doch alle wirklich bis zum Schluss daneben gelegen. Harry kriegt sich vor Lachen kaum noch ein. Jessica kann kaum glauben, dass der Kandidat, dem man es am ehesten zugetraut hätte bis zum Schluss ausgeblendet worden ist. Martin, der sich bis gestern noch selbst als der Profi geoutet hatte grinst verschmitzt. Im Grunde genommen, bin ich froh, denn der Sieg ist verdient und mit dem geteilten zweiten Platz kann man wirklich zufrieden sein. Es wäre aber eigentlich noch besser gewesen, wenn wir alle vier die gleichen Punkte erreicht hätten. Denn kochen kann jeder von uns. Und eines kann man mir wirklich glauben. Es ist noch mal eine ganz andere Nummer, wenn Scheinwerfer und Kameras in der Küche stehen und entsprechend viele Leute um einen herum tanzen. 
Nach etwas mehr als zwei Jahren Kochexzessen habe ich nun meinen Abschluss gemacht. Ich habe Lebensmittel kennengelernt von deren Existenz ich so niemals erfahren hätte. Ich habe neue Leute kennengelernt, die mir auf gewöhnlichem Wege niemals begegnet wären. Neue Freunde gefunden, die mich auf diesem Weg begleitet haben. Ich habe gelernt, dass Tomaten im Winter nicht natürlich wachsen. Beste Zutaten ergeben beste Speisen. Ich habe gekocht, gedünstet, pochiert, mehliert, frittiert, paniert, tourniert, passiert, gegrillt, geschmort, gebacken, getrennt, gedämpft, zerstoßen, gehackt, geschnitten, plattiert, geschält geraspelt, gehobelt, gerührt, geschwitzt, gratiniert, reduziert, gebraten, sautiert, ausgelassen und abgelöscht. 
Es gilt nun neue Wege zu bestreiten. Ein Stern, der meinen Namen trägt wird es in dieser Form nicht geben. Aber Kochen für Publikum schon. Schon bald wieder werde ich die Türen zu meinem Donnerstagsrestaurant öffnen. Es gibt noch mehrere Leute, die so versessen auf das Kochen sind und Freizeit opfern und alles dafür geben meisterlich zu präsentieren. Ich habe sie in der letzten Woche kennengelernt. Nun, die muss es doch auch in meiner Stadt geben. Es ist einfach das Größte mit gutem Essen und tollen Speisen ein Hand voll Menschen, die sich im Grunde fremd sind für ein paar Stunden einander näher zu bringen und zu begeistern. Mein DORES hat Platz für genau sechs Leute, alle an einem Tisch und alle glücklich, wenn sie spät am Abend nach Hause gehen. Das ist es, was mich froh macht. 

Es folgt eine allerletzte Einstellung. Alle noch einmal an meinen eigentlichen Arbeitsplatz. Zehn! Die Spannung ist gelöst. Neun! Die Kräfte sind verbraucht. Acht! Fünf Köche. Sieben! Drei Kameras. Sechs! Zwei mal Ton. Fünf! Drei Mal Aufnahmeleitung. Vier! Und unser Babysitter! Drei! Das Licht an der Kamera beginnt schnell zu blinken. Zwei! Fünf Kandidaten In alberner Manier. Eins! … machen ein allerletztes Gruppenfoto. Klick. Und damit schließt sich diese Episode.

Freitag, 6. Januar 2012

50. Finale in sechs Teilen - TEIL 5 - DONNERSTAG

Am gestrigen Tage wurde nichts anderes getan, als seinen Rausch auszuschlafen, Koffer zu packen und in das entzückende Städtchen Köln zu fahren. Für den Donnerstag war es das. Es folgt der Freitag. Falls sich jemand jetzt wundert: Der Ausstrahlungstag wird der Donnerstag. 

Es ist gar nicht so schlecht einfach mal einen Tag frei zu haben. Allerdings sorgt diese zusätzliche Freizeit dazu, dass man Zeit hat sich Gedanken zu machen. Gedanken, über das was schon war und Gedanken über das, was noch kommen wird. Gedanken an zu Hause, Gedanken an unterwegs. Nun befinde ich mich in einem kleinen Hotel am Rande der Stadt mit Blick auf eine Schallschutzwand der Autobahn im "Jeder will weg" und "Niemand ziehts hin". Ich kann mich über fließend warm und kalt Wasser im Zimmer freuen.

Mental spiele ich noch einmal meinen Tag durch. Sendetag Freitag, Aufnahmetag Sonntag. Wenn irgend etwas schief geht gibt es keine Chance auf Ersatz. Die Rohstoffe sind geordert meine kleinen Helferlein geimpft. Drei Tage sind durch, zwei kommen noch. Man erwartet etwas. Was Kolja heute bringen wird ist ungewiss. Aber es wird auf jeden Fall etwas werden. Die Nervosität sitzt einem im Hals. Was haben die doch gesagt? Bereite vor, was Du kannst. Zu Anfang dachte ich immer die große Unbekannte in diesem Spiel seien die Kandidaten. Doch nun glaube ich eher, dass es am Aufnahmeteam liegen wird. Verzögerungen stehen auf dem Plan. Einen pünktlichen Beginn hat es nie gegeben. 

Ich habe noch viel zu viel Zeit bis zu meinem Interview. Weiterschlafen unmöglich. Ich gehe meinen Ablaufplan noch einmal durch. Der Countdown läuft bereits mit doppelter Geschwindigkeit. Die Vorbereitungen stehen, oder etwa nicht? Um die Zeit zu überbrücken tauche ich für zwei Stunden in Disneys Traumwelt ein und begebe mich zurück in meine Kindheit. Aber mit dem Schlussakkord des Abspannes ist das Klopfen in der Halsschlagader wieder da. Es muss jetzt was passieren. 
Langsam wird es eh Zeit sich zu duschen und anzuziehen. Bis in die Innenstadt fährt man noch ein bisschen. Doppelinterview mit Harry, das wird ein Spaß. Wer nicht da ist, ist Harry. Wieder Verspätung. Fünfundvierzig Minuten. Mir ist es Recht. An die Situation täglich Verkabelt zu werden, täglich die gleichen Fragen gestellt zu bekommen und täglich die gleichen Leute zu sehen hat man sich mittlerweile angenehm gewöhnt. Alles Routine. Da es bereits später als gedacht ist, fahre ich gleich direkt zum nächsten Treffpunkt, von dem aus es dann zu unserem vorerst letzten Gastgeber Kolja gehen wird. Weit vor den Toren Kölns, in einer Talsohle ohne Handynetz oder Internetverbindung, etwa eine Autostunde entfernt. Es riecht nach Kuh und der Boden ist nass. Mit der Ankunft gibt man sich auch schon nicht mehr so viel Mühe. Die Blindfahrt ohne Kamera, Ankunft bereits nach fünf Minuten. Aussteigen, Brille ab und rein. Das geht ja fix heute. Das Haus gleicht einem Anwesen. In etwa das, mit dem man auch aus den Erzählungen bereits gerechnet hat. Alles läuft viel routinierter und bereits nach zehn Minuten sind wir im Haus, ohne Schnickschnack, ohne Wiederholungen. Jessica, Harry und Martin können entspannen, ich krampfe. Ich weiß heute wird es etwas geben. Dass auch von mir etwas erwartet wird ist heute mittag beim Interview unmissverständlich klar geworden. 

Zum Aperitif keinen Champagner, dafür Stopfleber. Natürlich. Der präsentierte Sekt eine gute Wahl. Süffig, perlig, rund. Aber Austrinken ist heute nicht. Die Aufnahmeleitung unterbricht.

Bitte Platz zu nehmen. Die ersten Statements sind bereits abgegeben. Warten auf die Vorspeise. Um auch ja jeden Geschmack zu bedienen wurden drei Weiß- und zwei Rotweine vorbereitet. Man geht auf Nummer sicher. Licht an, Kamera läuft, Tür auf: die Vorspeise. Höchst aufwändig und genial gelungen. Zweierlei von der Seezunge an Linsensalat und Hummersauce. Der Mann kann es. Die Sauce entscheidet. Die Sauce überzeugt. In Gedanken bei meiner Vorspeise, die bei weitem weniger pompös daher kommen wird. Was ich gerade denke sieht man mir vermutlich auch an. Mir fehlen die Worte. Und um ein Wort war ich die letzten Tage nie verlegen. 

Zum Stöbern geht es in die Küche, oder sollte man besser sagen zum Stören? Ein Schlachtfeld. Jeder Platz belegt. Ich halte mich zurück, Martin redet. Zum Glück. Man redet über grisselige rote Beete-Püree und vermeintlich "abgeschissene Soßen". Man rechtfertigt sich, Mixstab kaputt, Sieb und Schneebesen nicht zur Hand. Okay, er wird das schon irgendwie richten. Anspannung pur. Bei mir auch. Ich kann mir gut denken, dass die Hauptspeise nicht schlechter wird, als die Vorspeise. Und so ist es dann auch. Ich halte aber mittlerweile den Kolja eher für einen Freizeitsternekoch, als unser tatsächlich eingeschmuggeltes Kuckucksei. 

Das Dessert hat dann in meinen Augen das Niveau nicht mehr ganz gehalten, aber ich spreche wirklich nur von Nuancen. Den Ballast, den Kolja nach seinen drei Gängen abgestellt hat habe ich mir nun aufgeladen. Ein letztes Mal wird bewertet und ein Statement abgegeben. Vier verschiedene Taxis, vier mal die gleiche Richtung.

Mittwoch, 4. Januar 2012

50. Finale in sechs Teilen - TEIL 4 - MITTWOCH

Die letzten drei Tage waren ja schon mal ganz nett. Allerdings wird mir so langsam etwas mulmig, denn was hinterher aus dem ganzen Material gemacht wird kann und wird vermutlich einfach nur eine riesen Blamage werden. Bei fünf Interviews am Tag mit oftmals den gleichen Fragen bleibt es nicht aus, dass man sich selbst widerspricht. Und wenn man im Doppelinterview sitzt, hat man so richtig die Chance überzeugten Blödsinn zu quatschen. Alle Kraft mit dem, der gut vorbereitet ist. Ich habe einfach mal Interesse halber bei Facebook die Frage gepostet:"Was meinst Du, wie der Martin wohl seinen Tisch dekorieren wird?" Die Antwort lieferte mir Nicole nur drei Minuten Später:"Also, äh, ich glaube der Tisch wird ganz in weiß eingedeckt sein… in der Mitte des Tisches ein kleines Blumengesteck (auch in weiß). Es wird natürlich ein großer Echtholztisch sein……". Ich war begeistert, genau das ist es. Einfach universell individuell. Ich nehme mir vor, genau diesen Satz Wort für Wort so zu bringen, wenn die Frage heute Nachmittag beim Interview gestellt wird.  

Gegen Mittag verlasse ich mein Hotel bei schönstem Wetter und fahre mit dem Zug nach Karlsruhe. Nur leicht verspätet beziehe ich mein Zimmer, ziehe mich rasch um und eile zum Treffpunkt für mein Interview, dass ich heute gemeinsam mit Kolya führen darf. So eine Stunde lang Rede und Antwort stehen kann ganz schön anstrengend werden, gerade da man irgendwann anfängt sich im Kreis zu drehen.  Bei der Beurteilung des Menüs liege ich dann gleich zweimal richtig schön daneben. Das passiert halt, wenn man davon überzeugt ist sich auszukennen und damit gänzlich daneben liegt. So mache ich aus einer "Gazpacho" fix eine gekochte Gemüsesuppe und badische "Kracherle" zu Spätzle. Ich komme halt weder aus dem badischen noch aus Andalusien. Sonst wäre mir natürlich sonnenklar gewesen, dass es sich um eine kalte Suppe aus ungekochten Gemüsen handelt und Kracherle, wie man sich eigentlich denken kann einfach nur Croutons sind. Was Solls. Der Zuschauer braucht ja auch was zu lachen. 

Bei Martin können wir uns auf folgendes Menü frei nach dem Motto: "badisch, sympathisch, gut." freuen:

Gazpacho von Feldsalat mit Kracherle und Untergrombacher Forelle
***
Porterhouse-Steak mit Gmies, Bubespitzle und Ponzosauce
***
Zitronensorbet auf Armem Ritter

Den Nachmittag über habe ich  frei. Kurz vor sechs nun schwinge ich mich in ein Taxi und lasse mich zum vereinbarten Treffpunkt kutschieren. Unsere Treffpunkte waren bis dato immer so gewählt, dass man sich in kleinen dunklen engen Gassen traf, die selbst die Taxifahrer mit besten Bemühungen nicht fanden. Dort ließ man sich dann aussetzen. Merkwürdiger Weise bin ich immer der erste. So bleibt mir nur das Hoffen, dass die Adresse wirklich stimmt und die anderen gleich kommen werden, denn hier bekomme ich so schnell kein Taxi wieder. Mittlerweile haben sich alle Abläufe gut eingespielt. Sobald alle da sind, werden wir mit den Mikros verkabelt, dann die lächerlichen Brillen auf und lächerliches Zeug erzählen. Unser Fahrer fährt uns drei Mal um den Block.


Unser Kameramann immer dabei, damit die Nation auch schon etwas zu lachen bekommt. Am Ziel angekommen gleiches Prozedere, wie die letzten Tage zuvor. Einmal als Totale, einmal als Close-up. Vorfahren, aussteigen, Brille ab, 'Späßle' g'macht und ab zur Tür. Das Namensschild an der Klingel auffällig überklebt. Noch bevor wir die Wohnung betreten, werden Daten von Google bereitgestellt. Aber ist er es? Ist er unser "Undercoverkoch?" Unser Martin ist in jedem Fall jemand, der bereits Schlagzeilen als Koch gemacht hat. Er hat irgendetwas mit Horst Lichter, dem Sternekoch aus Köln zu tun und war mehrfach medial präsent. Viel Zeit bleibt nicht. Unser Betreuer äugt zu mir rüber. Hat er etwas bemerkt? Ich glaub nicht. Hier starrt doch Jeder alle Nase lang auf sein Handy. In den nächsten dreißig Minuten betreten wir die Wohnung. "So noch mal rein." "Jessica geht vor." "Wir brauchen eine andere Reihenfolge, noch mal." "Scheiße, das Licht ist zu früh ausgegangen." "Hey ,wie ist Ton?" "Alles Jut!" "Alfons als letztes." "Alle noch mal zurück, hinter die Ecke da. Jessica klingelt." Wie Pappkameraden bewegen wir uns , wie uns geheißen. Martin begrüßt uns mit einer angenehmen Ruhe. Diese Gelassenheit wird ihm jedoch bald vergehen. 


Zunächst folgen Aperitif im Wohnzimmer. Ja, so oder ähnlich hatte man es sich vorgestellt. Man schwätzt über die Fotos, Man fragt, warum er ein Turngerät als Sitzmöbel in seiner Stube stehen habe. Es wird Getrunken und Gegessen. Fünf ausgelassene Personen, die einfach ein perfektes Dinner mit einander erleben möchten, umzingelt von der doppelten Menge an Leuten, die akribisch jede Bewegung und jeden Ton aufzeichnen. Der Aufnahmeleiter nickt. Alles perfekt so. Und wenn schon ein Turngerät zur Verfügung steht, ist es doch selbstverständlich Harry unseren Turner zu einem Handstand in der übervollen Butze zu nötigen. Sollte er sich bei diesem Spaß überschlagen würde er direkt in unsere Apertifbar rasseln, was vorher selbstverständlich niemand realisierte. 

Man bittet uns im Speisezimmer Platz zu nehmen. Dieses Mal mit fester Sitzordnung. Auf zur Vorspeise. Ab diesem Zeitpunkt ist Martin weg und wart so schnell nicht wieder gesehen. Ich glaube da ist jemand in Stress geraten. Der Tisch ist geschmackvoll in weiß eingedeckt. Keine Blumen, statt des Echtholztisches ein Bierzelttisch. Egal, die Dekobeschreibung passt trotzdem. (Danke Nicole, an dieser Stelle) 


Als Namensschilder hat Martin kleine Fläschchen an unsere Plätze gestellt. Kleine niedliche Essigfläschchen und jeder hat eine eigene und andere. Wie sich es in einem späteren Gespräch ergibt, erstellt Martin diese Essige selbst, teilweise recht aufwändig aber in jedem Fall mit Liebe. Das Fläschchen von Harry sieht aus wie ein Flachmann, so wie sie an den Kassenauslagen der Discountmärkte zu finden sind. Man probiert. Immer samtig, immer lecker, mal süßer mal säurebetonter. Ich glaube der Martin ist da sehr stolz drauf und zeigt uns zugleich seine "Essigschnecke", die er zum fermentieren von Essig einsetzt. Wer jetzt wissen möchte, was genau eine "Essigschnecke" ist, möge doch bitte selbst noch einmal diese Informationen im Internet abrufen. Martin hat es uns zwar erklärt, aber so recht bleibt es bei mir nicht haften. Man möge ich das so vorstellen: In einer schmalen Flasche, vielleicht mit einem viertel Liter Fassungsvermögen schwimmen in einer blutroten beinahe undurchsichtigen Flüssigkeit zwei in der Flüssigkeit getränkte Wattepadähnliche Gebilde. Eines weiter oben, eines weiter unten. Ungläubig angewidert und zugleich faszinierend. "Die Mutter ist nun schon fast acht Jahre alt," Martin deutet auf den oberen Wattepad "und die hat jetzt Nachwuchs bekommen." Und zeigt auf die untere Scheibe. Einfach niedliche Geschöpfe. Ein in die Jahre gekommenes liebevoll gehegtes Bakterium. Sei es drum, diese "Schnecke" macht also guten Essig erst zu dem, was guten Essig ausmacht. 

Der Abend läuft so ab, wie die anderen auch. Die meiste Zeit warten, zwischendurch die Gänge kritisieren und das Leben des Gastgebers nach außen kehren. Abschließend immer wieder die Frage:"Ist er es, oder ist er es nicht?" Man ist sich nicht mehr so sicher. Aufgrund der Tatsache, dass Martin in den letzten Tagen immer wieder einfach fundiertes Fachwissen an den Tag legt und man ihm vom Typ einfach den Profikoch abnimmt, ist die Erwartungshaltung an ihn enorm angewachsen. Und leider, wie schon so oft vorher passiert, wurden diese Erwartungen nicht so ganz erfüllt. Der heutige Tag hat die Karten neu gemischt. Ist er ein Profikoch, der die Situation einfach unterschätzt hat? Der Druck alleine zu agieren und dann auch noch das Fernsehen dabei zu haben ist ungleich höher, als sich einfach nur Gäste zum Essen nach Hause einzuladen. Er könnte es also noch immer sein, aber anders, als erwartet.

Die Vorspeise, so hübsch und filigran sie aussieht, schlug durch Schärfe erstmal alle Geschmacksknospen k.o. Der dazu gereichte Wein verhielt sich darauf hin nur noch sauer. Dem einen ist es zu viel, dem anderen gerade erst recht. Martin schmeckst. Die Hauptspeise finde ich persönlich gut aber viel zu rustikal. Sie passt eigentlich gar nicht in die Reihe zur Vorspeise. Und um dem Gericht noch ein Sahnehäubchen aufzusetzen muss ein Klacks Meerrettich dem Steak, die nötige Schärfe liefern. Es folgt ein kurzes Referat darüber, was das Porterhouse zum Porterhousesteak macht. Zum einen das Gewicht, aber auch die Tatsache, dass man dazu früher dunkles Bier getrunken habe. Er präsentiert eine wunderschöne, große bestimmt zwei Literfassende Bierflasche mit "Ploppverschluss" und schenkt sich ein. Man schaute sich in der Runde um. Also Gut, für uns den Wein, für Martin Bier. 

Das Dessert ist dann der Kracher und passt wieder optisch perfekt zur Vorspeise. Hervorragend gelungen. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu süß und ein perfekter Abschluss. 

Wir liegen sehr gut in der Zeit. Es fehlen noch die Bewertungen und dann sind wir durch. Ich stehle mich zwischendurch immer wieder in die Küche und stibitze Reste aus den schmutzigen Töpfen. Puhle hier noch ein Stück Fleisch vom Knochen und schiebe mir noch einen Knödel in den Mund. Man könnte denken, ich sei nicht satt geworden. 

Nach Beendigung eines langen Interviews habe ich kurz Zeit mich beiläufig mit Harry auszutauschen. Wir sind für einen Moment nicht unter der Beobachtung eine Betreuers oder eines Aufnahmeleiters. "Eigentlich sollten wir mal Handynummern austauschen." meinte ich. "Da kommscht echt 'nen Moment z'spät!" grinst er. Jessica sitzt etwas weiter hinter uns  und grinst. Ich fasse es nicht. "Hier!" sagte ich und halte Harry mein Handy hin. "Gib ein!" Da neunzig Prozent aller anwesenden im Besitz eines Smartphones sind, fällt die Tipperei nicht weiter auf. Und wieder eine Identität geknackt. Das gleiche Spiel noch einmal mit Jessica. So fix hat man sich also noch auf einen Drink nach dem Dreh verabredet. Ohne Babysitter. 

Es sei jedoch am Rand bemerkt, dass es einen Unterscheid zwischen Tarnung und Identität gibt. 


Für die Crew gibt es abschließend noch von Martin ein hausgemachtes Chili, selbstverständlich mit entsprechender Schärfe.  Der Taxenkonvoi ist bestellt. Doch statt jeden von uns direkt nach Hause zu bringen, fahren wir alle zum gleichen Hotel. Von hier aus starten wir unseren Feldzug durch die Nacht. Dazu sei gesagt, dass es in Karlsruhe um ein Uhr morgens nur noch zwei Möglichkeiten gibt, um auf den Putz zu hauen.

Die Stimmung ist gelöster denn je. Zum ersten Mal zusammen und vor allem ohne Aufsicht. Das löst Jedermanns Zunge. Leider ist Martin nicht dabei, da dieser durch den Trubel in seiner Wohnung von der stillen Verabredung nichts mitbekommen hat. Bei bunten Cocktails wird nun ausgefragt, erzählt, die Bedienung zum Besten gehalten und offenherzig berichtet. Kinder wie die Zeit verfliegt. Zwei Uhr man will schließen. "Wollt ihr noch eine Runde, ich müsste dann jetzt abkassieren?" fragte die hübsche Nina mit ihrem großen Lachen und der gelösten Zunge, sichtlich erfreut darüber so spaßiges Publikum noch zu so später Stunde bedienen zu können. Klar, ein Drink geht noch. Die Cocktails kommen und sie kassiert ab. "Zusammen oder getrennt?" "Getrennt!" "Wer zahlt die Chips und die Salzstangen?" "Bitte wie?". Kolya rümpft die Nase: "Dat kann ja woll nich sein!" Wir schauten uns ungläubig an. Harry hat nach etwas zu essen gefragt und Chips bekommen, also übernimmt er die Knabbereien. Fair von ihm. Zwei Minuten später kommt die blonde Nina wieder. "So," lächelte sie uns breit an. "wir schließen dann jetzt! Ihr müsstet dann jetzt gehen." Wir starren auf die vollen Getränke vor uns, die sie uns gerade erst gebracht hatte. "Hast'n Pappbäsche?" fragte Harry. "Ne, leider nicht." "Okay, wat kost' dat Glass?" fragt Kolya genervt. "Da muss ich fragen." Sie kommt wieder und will pro Glass drei Euro, was für allgemeine Erheiterung sorgt. Kurz darauf stehen wir mit vollen Gläsern im strömenden Regen. Es ist eigentlich klar, dass der Abend an dieser Stelle gelaufen ist. Es ist ja auch schon spät. Aber Harry steckt uns alle mit seiner aufgekratzten Art an, dass man gar nicht anders kann, als noch ein Haus weiter zu fahren. "Is halt eher studendisch." sagt er und schaut mich an. "Ach, und du meinst, ich hätte ein Problem damit?" "Ich sach ja nur!"


Der nächstbeste Taxifahrer, der uns mitnimmt, mag so um die sechszig und ist vielleicht russischer Abstammung. Ihm gefällt, dass hier so fröhliches Blut noch so spät unterwegs ist. Es gefällt im sogar so gut, dass er auch keinen Hehl daraus macht, Harry nachher noch persönlich nach Hause fahren zu wollen. Das "Karambolage" in Karlsruhe ist so, wie es heißt. Der Name ist Programm. Drei Euro Eintritt, Rum Cola kosten zwei. Wir nehmen zwei, Jessica Wodka Energy, Kolya Bier. Die Musik mal elektrisch, mal metal, mal Hard Rock. Ich bin der Älteste in dem Laden. Das Gros nicht älter als zweiundzwanzig. Wir bestreiten die Runde der Alten und ziehen Blicke und sämtliche Gespräche auf uns. Plötzlich stellt Harry seine Flasche Essig zwischen die Gläser. Wir sind versucht unserem Nachbar mit dem glasigen Blick eine Portion ins halbvolle Glas zu schütten. Glasige und besoffene Blicke haben die übrigens alle hier. Der Gang zum Klo ein echtes Abenteuer. Die Becken sind rand voll. Voll mit allem, was man in so einer Nacht von sich geben kann. Das Waschbecken abgerissen und liegt trostlos auf dem Boden. Auf den Fliesen vor der Pissrinne steht Zentimeter hoch Flüssigkeit; undefinierbar. 


An unserem Tisch steigt der Pegel, die Stimmung kocht. Harry findet einfach alle toll und drängt jedem ein Gespräch auf, egal ob gewünscht oder nicht. Die Lautstärke steigt, der Alkoholpegel auch. Das ganze verwandelt sich in eine surreale Welt. Es dauert lange, bis wir bemerken, dass wir vom Türsteher ins Visier genommen werden. Ein großer breiter Kerl, mit kahlem Kopf und altmodischem Kinnbärtchen. Seine Freundin bei ihm, genau so wie man sie sich jetzt vorstellt. Die Gemüter sind zu besoffen. Gleich fliegen wir raus. "Was ist in der Flasche!?" er deutet auf den Flachmann, den Harry zwischen die anderen Gläser gestellt hatte. Dieser kann sich vor Lachen kaum noch halten. Ich bin gefasst, gleich knallst. Da keiner Antwortet, antworte ich: "Essig!" Verwirrung. Harry versucht zu erklären. Er ist die ehrlichste Haut unter uns und kann sich am schlechtesten spontan eine Geschichte zusammenstricken. Also versucht er es mit der Wahrheit. Ist auch völlig plausibel: Drehtag beim perfekten Dinner, sind vor den Aufpassern abgehauen und haben nichts besseres zu tun als unser Gastgeschenk -den Essig- in Karlsruhes mieseste Studentenabsteige auf den Tisch zu stellen. Eine Menschentraube bildet sich um uns. Die Erklärungsversuche verpuffen. "Riech doch einfach dran." sagt Kolya genervt. Und das tut er. Er zieht die Stirn kraus und ist sichtlich verwirrt. Wir haben vermutlich nur deshalb nicht eins in die Fresse bekommen, weil er auf diese Situation absolut nicht gefasst ist. Wir dürfen bleiben und drehen weiter auf. Nun sind aber unsere Tischnachbarn und Tischgesellen, die noch eben im Delirium vor sich hin siechten neugierig geworden, warum wir denn nun Essig mit in eine Kneipe schleppen. Kolya erfindet schnell folgende Geschichte und macht Harry fix zum Pornostar, Jessica zur Castingchefin und mich zum Manager. Der Essig sei lediglich ein Eisbrecher. "Hat ja wohl auch geklappt." meint er. Harry versucht es wieder mit der Wahrheit. Jessica und ich nicken zu allem und nehmen jede Rolle an. 

Um vier wird auch der letzte Bürgersteig hochgeklappt. Es ist wie in der Szene des Films beim Untergang der "Titanic". Das grölende und johlende Volk wird einfach mit einem Besenstrich auf den Bürgersteig gekehrt. Die Meute wuselt, kreischt und schreit und jeder versucht sich über den immer lauter werdenden Geräuschpegel Gehör zu verschaffen. Gesichter glühen, die Augen weit, die Kneipen zu. Die Alternativen sind erschöpft und gerade noch rechtzeitig reißt irgendjemand das Ruder rum. Das nächste Taxi ist unseres. Divengleich schlagen wir uns unseren Weg durch die kreischende Menge zum Wagen. Man hält sich fest, damit man vom Sog nicht fortgespült wird. Eine größere Bühne hätte man uns den Fremden, den fremden Alten gar nicht bieten können. Die Tür klappt zu. Das Geschrei wird dumpf. Der Wagen fährt. Stille. 

Und wer nun der Profikoch ist haben wir bei alle dem noch immer nicht eindeutig herausfinden können. Es wird also weiter spekuliert, verdächtigt und gekocht.

Dienstag, 3. Januar 2012

50. Finale in sechs Teilen - TEIL 3 - DIENSTAG

"Bitte Legere sportiv." Das war die Aufforderung unseres Gastgebers des zweiten Tages. Das Wetter draußen hat sich von Regen in Sturm verwandelt. Lange Schlafen, Kaffee trinken, Aufstehen, Duschen, los. Nächster Treffpunkt, nächstes Interview. Die meiste Zeit verbringt man mit Warten. 

Heute bin ich der letzte, der sein Statement zum gestrigen Tag abgeben muss. Neue Einschätzungen und immer wieder die Frage:" Na, was meinst Du, wer ist der Profikoch?" Na mal ehrlich. Wir befinden uns in der Produktion des zweiten Tages. Ich kann mir also noch ein wenig Zeit lassen, bis ich mich endgültig festlege. Ich finde es ganz amüsant, mal diesen und mal jenen zu verdächtigen. Die anderen Kandidaten liefern aber auch von sich aus schon genügend Stoff, dass man seine Meinung getrost immer wieder über den Haufen werfen kann. 
Tag zwei, das Interview wird zur Routine. Das Aufnahmeteam unverändert nett. Treffpunkt heute in einem Frankfurter Café. Nach einer Stunde Warten und dem dritten Café Latte vibriere ich alle zehn Minuten zur Toilette. Das Team ist neunzig Minuten überfällig. Das Café füllt und leert sich. Ich sitze dumm rum. Und hier soll ich jetzt einfach so locker darüber quatschen, warum wieso und wer der Mörder ist? Dann fliegt die Tür auf. Die frankfurter Caféhausgemütlichkeit mit einem Schlag dahin. Kameramann, Tontechnik, Redakteur und Assistenz drängeln sich nahezu gleichzeitig durch die Tür. "Hallo." "Hallo." "Hallo." Taschen, Stative und jede Menge Kabel. Die Kamera wird auf das Stativ geklickt, Ich werde verkabelt. Das ganze verläuft in einer ruhigen Hektik. Licht an - und los. Der Tonmann hat mal wieder Hunger.  Dann ein Problem. Mein T-Shirt hat zu viele dünne Linien. Das Bild flirrt. Check auf dem Monitor. Nee, geht doch alles. Ton ab, Kamera läuft. Ich hole tief Luft. "Halt. Ich muss das Band wechseln."  Ich atme wieder aus. "Das passiert aber oft." sage ich. "Was?" "Na, das ihr die Bänder oder Akkus oder oder oder wechseln müsst." Der Kameramann grinst. "Is nu mal so." Die Fragestunde beginnt. 

Zum Schluss das Menü. Dieses stellt sich heute wie folgt dar:

Pfälzer Trio
***
glückliches Rind
***
eiskalter Thymian



Sparsam formuliert. Meine Vermutung ist, dass sich Harry genug Spielraum offen lässt, für den Fall dass irgendetwas schief geht. Alternativen muss man ja parat haben. Da dieses Menü nicht wirklich irgendwelche Details parat hält, muss geraten werden. Man darf gespannt sein. 

Fünf Minuten vor sechs sind wir fertig. In wenigen Minuten hätte ich eigentlich bei unserem Treffpunkt sein müssen. Allerdings muss ich noch bis in das Nachbarstädtchen Mainz, dass etwa vierzig Minuten von hier entfernt liegt. Damit ist klar, dass auch dieser Tag nicht früher beginnen, geschweige früher als der gestrige enden wird. Mein Taxi kommt. "Sie werden sich freuen." sage ich zum Taxifahrer. "Ja? - Warum?" "Nach Mainz, bitte." " Oh ja, sie haben Recht." Das ist mal eben eine siebzig Euro Fahrt. Aber ein Frankfurter Taxifahrer kennt sich in Mainz nicht aus.  Der Fahrer rast mit gefühlten dreihundert Sachen im Feierabendverkehr gen Mainz. Mein Magen ist noch leer, Zeit zu Essen habe ich heute noch nicht genutzt. Trotzdem wird mir ganz schwummerig bei diesem Tempo. Sechs Kilometer vor dem Ziel passiert das, was wohl auch schon die letzten Tagen den anderen passiert ist. Die Technik versagt und das Navi hängt sich auf. Unsere Treffen sind so geheim, dass selbst die Technik ihren Dienst versagt. Warum sollte es da heute anders sein. Gestern haben drei Kandidaten ihr Ziel erst mit gewaltigen Verspätungen erreicht, heute bin ich es. Mittlerweile befinden wir uns in der Innenstadt. Man fährt jedoch nicht langsamer. Nun kommt noch hinzu, dass der Fahrer permanent am Navigationsgerät rumfummelt. Dieses zeigt immer nur für Sekunden die Strecke an, bevor es wieder dunkel wird. Das Nummernschild des vorfahrenden Kleinlasters wird bedrohlich gut lesbar. Wenig später stecken wir in einer Einfamilienhaussiedlung. Rechts, rechts, links, rechts, beschleunigen, anfahren, mir wird langsam echt schlecht. An der Adresse, die es nicht gibt steht ein Van in der Dunkelheit. Eine dunkle Gestalt zischt mir zu. "Hier rüber!" Das Ganze hat etwas von einer Schlepperbande oder Terroristen. Passanten müssen auch glauben, dass hier in ihrer schönen Nachbarschaft gleich eine Bombe hochgeht. Der Gedanke wird noch irrwitziger, wenn man in den Wagen schaut und uns "Deppen" mit unseren Blindbrillen sieht. Wie heißt es so schön: "Ein bisschen Spaß muss sein."

Die letzten Meter geht es wieder im Blindflug zum Ziel. Diesmal aber schneller. Man hat mittlerweile Routine. Einsteigen, aussteigen, Sichtbrille auf, Sichtbrille ab. Einmal als Totale, einmal als Close up. Damit wir es nicht verlernen, das ganze noch einmal. An der Tür angekommen ein sichtlich nervöser Gastgeber. Der Harry tut mir echt leid. Aber wenn dieser Tag vorbei ist, dann hat er es hinter sich. 

Der Abend verläuft prinzipiell wie der gestrige. Man isst, man trinkt, man schwafelt dummes Zeug, man wird befragt, einzeln oder auch zu zweit und man schauspielert, was das Zeug hält. 


Als das Dessert durch ist fällt jeglicher Ballast von Harry ab. Er ist sichtlich erleichtert, dass er seine Gastgeberrunde geschafft hat. Für uns indessen warten bereits wieder vier Taxis, die sich dann schließlich mit uns in vier Richtungen aufmachen, nachdem wir unsere Bewertungen abgegeben hatten. 
Die ehrliche und faire Punktevergabe finde ich am schwierigsten und setzt mir wirklich zu. Zehn Punkte Maximum, Null Punkte Minimum. Abzug sind für Dekoration, Ablauf und das Menü möglich. Ich persönlich bin der Ansicht, wenn sich jemand die zehn Punkte verdienen möchte, dann muss es wirklich rund um perfekt sein und einfach krachen.  Da bei Harry das Dessert leider am Menü vorbei kreiert worden war lief es dann bei mir alles in allem auf acht Punkte hinaus.  Ich hätte gerne mehr gegeben.