Mein persönliches Highlight: VOX - das perfekte Dinner

Wen es interessiert, wie ich die Produktionszeit des "perfekten Dinners" auf VOX erfahren wird hier fündig. Der Produktionszeitraum für die Sendewoche vom 05. bis 09. März war gleich zu Anfang des Jahres - also etwa acht Wochen vor der Sendung.

Mit meinem Gastgebertag am Freitag endet eine anstrengende Woche und vorerst auch dieser Blog. Zu einem Stern habe ich es zwar nicht gebracht, aber kochen, das hab ich gelernt.

Samstag, 25. Dezember 2010

44. Das perfekte Dinner!

Für die Fernsehshow hat es zwar nicht gereicht, aber nach einem Jahr Intensivkurs im Kochen, der Wertschätzung für den Rohstoff Nahrungsmittel und Begeisterungsstürmen meiner Gäste des DORES ist es Zeit nach ziemlich genau einem Jahr Bilanz zu ziehen. Heute ist der erste Weihnachtsfeiertag und der gestrige Abend stand voll und ganz im Zeichen der Haute-Cuisine. Leckere Fingerfoodhäppchen, die das ganze mit Champagner eingeleitet haben, gefolgt von einem 7-Gang-Menü. "Ich hab' ja mit vielem gerechnet, aber damit nicht!" ist so eine der liebsten Äußerungen meiner Gäste. Kurz vor Mitternacht war dann der ganze Spuk vorbei. 

Nun heißt es für mich das Schlachtfeld räumen. Sieben Gänge für sieben Gäste, davon eine stillende Mutter mit Säugling. Sechs Teller mal sieben Gänge. Sechs Gläser mal Rotwein und Weißwein und Wasser, sechs mal Kaffee und Pralinen. Die Schubladen sind leer die Spüle voll. Erstmal Tür zu.

Letztes Jahr um diese Zeit schwelgte ich in Kochbüchern bereit mich auf eine große neue Reise zu wagen. Das Territorium war neu und ich hatte meinen Spaß Erfahrungen mit kochendem Wasser zu machen. Innerhalb eines Jahres schaffte ich es, dass meine Küche aus allen Nähten platzt und mein Wissen über jegliches Garen von Lebensmitteln mich vollends befriedigte. Nun ja, fast. Ein Jahr ist rum und ich kann wohl mit Recht behaupten, das ich die Grundlagen beherrsche. Angst es zu vermasseln habe ich keine mehr. Was nun folgt ist das Sammeln von Erfahrungen. Kein Buch und kein Koch kann mir diesen Weg abnehmen. Niemals wäre ich so schnell so weit gekommen, wenn ich nicht meinen Meister gefunden hätte. Sich selbst etwas beizubringen ist eine großartige Sache, von den großen zu lernen eine noch viel großartigere. Ich danke an dieser Stelle allen Köchen, die ich auf meinem Weg zu den Sternen in die Töpfe gucken durfte. Ganz besonderem Dank gilt meinem neu gewonnen Freund und Sternekoch Achim Schwekendiek aus dem Schlosshotel Münchhausen in Aerzen, in dessen Küche ich auch weiterhin immer wieder mitarbeiten darf, sofern mir der Sinn danach steht. Danke dafür.

Ich bin dankbar dafür, dass ich die Erfahrung machen durfte die Achtung vor dem Lebensmittel zurück zu erlangen. Die Achtung vor Tieren und die Erkenntnis, wie unsinnig es ist Gemüse zu verarbeiten, für die es einfach nicht die Zeit ist. Bei all dem, was meine Recherchen ergeben und das was ich mit meinen eigenen Augen sehen konnte, werde ich wohl nicht zum Vegetarier, vertrete aber mit Bestimmtheit die Aufforderung: "Esst weniger Fleisch!" Ich werde nie vergessen, dass für jedes Schnitzel, jeden Schinken, jedes Steak, Sushi und sogar für Milch, Eier und Käse ein Tier herhalten muss. Jedem Tier erbiete ich meine größte Achtung und tiefen Respekt. 

Am Anfang stand der Spaß im Mittelpunkt, später wurde daraus Leidenschaft und eine gewisse Besessenheit, was dazu führte dass ich meinen eigentlichen Job sträflich vernachlässigt habe. Alle, die unter meinen kochwütigen Anfällen zu leiden hatten bitte ich daher zutiefst um Verzeihung. 

Die Erfahrungen, die ich die vergangenen Monate machen konnte wird mir wohl keiner nehmen können. Das ist wie Fahrrad fahren. Auch die DORES-Veranstaltungen wird es weiter in unregelmäßigen Abständen geben. Ich bin in freudiger Erwartung wie diese Geschichte weiter geht. 

Bis dahin träume ich weiter von dem Griff nach den Sternen, gehe Gassi mit meinem Hund und trinke Kaffee mit Süßstoff. 

Dienstag, 30. November 2010

43. Der frühe Fisch, fängt den Wurm.

Zu Gast bei „Deutsche See“, dem nationalen Marktführer für Fisch und Meeresfrüchte in der Fischmanufaktur in Bremerhaven. Einmal mehr trifft mich ein gastronomischer Zufall, den ich als Privatperson bestimmt nicht erlebt hätte. Denn hätten Hannah und Marcel, die beiden Stammköche aus der Gourmetküche im Schlosshotel Münchhausen, mich nicht jüngst spontan auf einen Kaffee besucht, hätte ich von diesem Termin nichts gewusst. Und kann es denn etwas spannenderes geben als einen Sternekoch mit seinen Köchen auf einer Einkaufstour und Betriebsbesichtigung zu begleiten? 

Mitten in der Nacht beginnt der Tag. Gassi gehen, eine schnelle Dusche und los geht’s. Treffen auf dem Parkplatz eines großen Möbelkonzerns. Mit Vollgas geht’s weiter nach Bremerhaven. Dass es um viel Fisch gehen wird ist uns allen klar, aber nicht welche Voraussetzungen dafür erfüllt werden müssen. Eine nette Dame mit blonden Kringellöckchen begrüßt uns kurz. Dann wird es sachlich. Keiner von uns hat sich ausgemalt, was nun kommt. „So, hier sind die Formulare, die sie uns bitte ausfüllen. Handys sind nicht erlaubt, bitte legen sie allen Schmuck ab. Kaugummi kauen ist auch nicht erlaubt.“ Sie deutet auf mich. Bei diesem Ton stehe ich stramm und nicke kurz. „Sie bekommen von uns gleich Einmaloveralls, die Kopfbedeckungen bitte bis über  die Ohren ziehen und Sie bekommen noch einen Bartschutz.“ „Einen was?“ frage ich. 
Ein Raunen geht durch die Meute. Auf eine frühmorgendliche Verkleidungsaktion hat hier keiner so recht Lust. Aber kneifen gilt nicht. Also los. Ich bekomme die Sondererlaubnis Fotos im Betrieb machen zu dürfen; zum Glück. Das Unbehagen steht jedem ins Gesicht geschrieben. Etwa zehn Minuten stehen wir auf dem Gang. Die Kopfbedeckungen reißen alles raus. Wir sehen alle gleich Scheiße aus! Dann geht es in die Hallen. 
Desinfektionsschleuse Nummer eins. Hände in die Schleusenelektronik halten  bis das Grüne Signal aufblinkt. Eine Maschine spritzt einem Seife und Desinfektionsmittel in die Hand. Erst jetzt wird das Drehkreuz entriegelt und man kann weitergehen. Hände waschen und weiter geht’s mit Desinfektionsschleuse Nummer zwei. Jetzt werden einem auch die Füße und Schuhe sauber gebürstet. Ich fühle mich ein wenig an den Hollywoodstreifen mit Doris Day erinnert, in dem sie auf einem Rüttelgitter mit ihrem Absatz stecken bleibt, als sie einen staubfreien Raum betreten will. 
Wir stehen nun in einer großen fast leeren Halle. Nur wenige Boxen stehen hier rum. Wir befinden uns bei der Qualitätseingangskontrolle. Was uns genau erwarten wird, wissen wir alle nicht. Es piept und ständig fliegen irgendwelche Tore auf, durch die hektische Staplerfahrer Kisten hin und her kutschieren. Im zweiten Teil der Halle betreten wir die Lachsverarbeitung. Das ist die Ausgangsstation jeglicher Lachsverarbeitung. Hier werden tausende von Lachsseiten verarbeitet. Kopf ab und los geht’s. Die Filets laufen nun über die Lachsstrassen. Hier läuft alles automatisch. Da wird auch schon mal ein Filet von der Maschine völlig verhackstückt. Aussortiert und umsonst gestorben. Die Seiten werden anschließend vollautomatisch entgrätet und gehen in die Sortierung zur weiteren Verarbeitung. Es wird direkt vakuumiert, kalt geräuchert und konfektioniert für den täglichen Bedarf. 



Wir sind in der Abteilung zur Verarbeitung von Convienence Food angekommen. Zwischengelagert wird hier nichts. Der Kunde bestellt, „Deutsche See“ stellt bereit, verarbeitet und liefert spätestens achtundvierzig Stunden später aus. Kühlhäuser zur längeren Lagerung sind nicht nötig. Logistisch eine Meisterleistung. Die Kühlkette nicht eine Sekunde unterbrochen. Mehr als 10 Tonnen Eis werden hier täglich verbraucht. Nach zirka zwei Stunden sehe ich zum ersten Mal einen Fisch im Ganzen. 
Wir befinden uns in der „Selectabteilung“. Hier gibt es Frischfisch der höchsten Güte. „Chef“ sieht das mit etwas anderen Augen. Ich bin nicht in der Lage den feinen Unterschied zu erkennen, was diese Ware von der Ware unterscheidet, die „Chef“ von seinen Lieferanten bezieht. Plötzlich bricht Hektik aus. Anlieferung von französischer Auktionsware. Man ist neugierig. Die acht oder neun Paletten bekommen höchste Aufmerksamkeit. Auch von uns. Die Kisten werden geöffnet. Ein Großteil der Ware ist bereits verkauft. Trotzdem schafft es „Chef“ irgendwie drei Kisten mit wirklich gut aussehenden roten Meerbarben zu ergattern. Plötzlich bricht Shoppingfieber aus. Ich bekomme das gar nicht so recht mit. Aber am Ende des Tages ist der Bestellzettel voll. 
Um die Qualität von Fisch zu bestimmen gibt es verschiedene Kriterien. Zunächst die Überprüfung, die auch jede Hausfrau hinbekommt, die auf dem Markt einen Fisch kauft. Frischer Fisch hat klare Augen, rote Kiemen und festes Fleisch. Der Einsatz aller Sinne ist nun gefordert. Drucktest, Riechtest und visuelle Beurteilung. Verkostet wird später. Was ich bis dato nicht wusste, ist das Wissen über die Fangart der Fische. Industriell gefangener Fisch wird von großen Fischereiflotten mit großen Schleppnetzen gefangen. Diese bleiben bis zu sechs Stunden im Wasser. Wie der Fisch, der vor sechs Stunden in dieses Netz gegangen ist nun aussieht kann man sich wohl gut vorstellen, nach dem etliche Tonnen über Stunden auf dieses erste Tier gedrückt haben. Der Fischer eines kleinen Städtchens an der französischen Atlantikküste, dessen Leben und das Leben seiner Vorfahren stets die Fischerei gewesen ist, wird hier eine ganz andere Qualität liefern können. Eigentlich logisch.  Bloß lassen die Großen den Kleinen nicht mehr viel übrig und grasen die Meere in einem Tempo ab, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis unsere Meere leer gefischt sind. Aber der Markt verlangt nach mehr. Jeder Discounter bietet mittlerweile die verschiedensten Fischprodukte an. Je ausgefallener desto lieber. Und der Ottonormalkunde glaubt ein Stück vom Luxus zu bekommen. Vor etlichen Jahren gab es doch da mal den Skandal als eine große deutsche Discounterkette Haifischkotlett angeboten hatte. Die Nachfrage war so enorm hoch, dass diese nur mit Mühe und einem enorm hohen Aufwand diese gestillt werden konnte. Aufgrund des öffentlichen Drucks ist das Produkt dann aber doch recht schnell wieder aus den Regalen verschwunden. Am besten ist natürlich Angelware. Fische, die gezielt aus dem Meer geholt werden. Ohne Beifang, tote Delphine oder Fischmaterial, dass dem Stress des Fang mit Netzen nicht standhält und nach der Rückführung ins Meer verendet. Fische aus Aquakulturen sind mehr und mehr am kommen. Es geht auch gar nicht anders, denn der enorme Bedarf kann nicht mehr über den natürlichen Bestand gedeckt werden. Fische aus Aquakulturen sind in der Hochküche viel diskutiert. Auf der einen Seite ist es möglich die Aufzucht streng zu kontrollieren, die Wasserqualität ständig zu prüfen und mittels Futter, dem Fisch geschmacklich tatsächlich auch schon eine Richtung vorzugeben. Auf der anderen Seite wird ein Lachs, der sich auf natürlichem Wege ernährt und eine lange Reise Flussaufwärts von den kanadischen Küsten ins Landesinnere hinter sich hat, ein viel festeres Muskelfleisch aufweisen, dass geschmacklich in Aquakulturen so nicht zu erzielen ist. Allerdings ist es wie mit vielen Dingen. Man muss den Unterschied kennen, um ihn ausmachen zu können. 
Wir ziehen weiter durch die kalten Hallen. Hier wird geschnippelt, dort wird verpackt. An einer langen Fischstrasse wird Pangasiusfilet auf verschiedenste Arten vor- und zubereitet. Alles schon fertig für den Endkunden. Eine Pause würde jetzt gut tun. Zusammen mit einem Kaffee. Die Raucher unter uns werden unruhig. Wenig später sind wir wieder an der frischen Luft. 

Die Besichtigungstour ist allerdings noch nicht am Ende. Eine zweite Halle und ein zweites Mal schlüpfen wir alle wieder in die kleidsamen Overalls und setzen uns die „Mörderduschhauben“ wieder auf. Wieder werden wir durch Desinfektionsschleusen getrieben. Dies sei nun mal wirklich positiv zu erwähnen. Was die Einhaltung von Hygiene angeht ist der Laden absolut Top. Elektronisch überwacht, die Schuhsolen per Lichtschranke saubergebürstet und erst wenn man einen Spritzer Desinfektionslösung in beide Hände vom Automaten bekommen hat gibt dieser das Drehkreuz frei. Schummeln geht hier gar nicht. 
Halle zwei verarbeitet Fisch. Hier werden Farcen und Terrinen im großen Stile hergestellt. Etwas befremdlich ist der verglaste Arbeitsplatz, der sich direkt hinter dem Empfang befindet. So zusagen ein Affenkäfig für den neugierigen Besucher. Auf der anderen Seite aber echt cool: So bekommt man einen ersten Einblick in die Produktion ohne sich gleich als Teletubbie verkleiden zu müssen. In der Nachbarhalle wird Fisch für die Räucherei vorbereitet. Makrelen, Sprotten und jede nur erdenkliche Art von Räucherfischdelikatessen. Am spannendsten aber auch am blutrünstigsten ist die Makrelenaufschlitzdurchbürstsalzlakenspitzungsstation.
Hier wird klar, dass es sich neben all der Handarbeit um einen industriellen Betrieb handelt. Die Makrelen zischen hier im Sekundentakt durch. Da passiert es schon mal, dass der eine oder andere Fisch der kreisenden Säge zum Opfer fällt und ziemlich zerfleddert das Ziel erreicht. Aussortieren – und tschüss. 
Der Abfallbehälter ist ziemlich voll, aber darum möchte ich mir lieber keine Gedanken machen. Die nebeneinander aufgereihten Räucheröfen wecken eine ziemlich unschöne Assoziation. Während der Vorweihnachtszeit wird hier im Drei-Schicht-Rotationsprinzip gearbeitet. 
Das ist ne Menge Fisch. Wir werden weitergeschoben. In dieser Halle herrscht Ruhe. Fünf Damen fertigen Delikatessen. Optisch äußerst ansprechende Fischhäppchen werden in noch ansprechenderen Delikatessboxen verpackt. Die letzten Stunden hat man so viel Fisch gesehen und gerochen. 
Den Geruch aus den Räucherkammern am Leibe tragend hoffen alle, dass es beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen in der Testküche der Deutschen See keinen Fisch gibt. Vergeblich. Oben auf dem Verwaltungsgebäude ist die Probeküche, in der auch hochpreisige Seminare mit noch hochkarätigerem Schulungspersonal, wie Lafer oder Schuhbeck stattfinden. Das Ambiente sehr angenehm. Rundumblick über ganz Bremerhaven. Auf einer Dachterasse haben die Raucher unter uns Gelegenheit ihrem Laster nach zukommen. Der Ausblick ist schon nett. Es bedarf keiner überirdischen Kombinationsgabe um darauf zu kommen, dass das gemeinsame Mittagessen natürlich eine Verkaufsveranstaltung ist. Vorab Verkostung von verschiedenen Delikatesssalaten mit Garnelen, Makrele, Couscous und Zartweizen. Für verwöhnte Gaumen durchaus eine Geschmacksfrage. „Gut für Bankett!“ meint ein Koch aus unserer Runde. 
Man isst und schweigt. Das Brot aus eigener Herstellung ist wirklich erwähnenswert lecker. Es folgt ein Kabeljau im Ganzen mit Rosmarinkartoffeln, glaube ich mich recht zu erinnern. Auf jeden Fall fehlt Salz. Entenbrust und Spanferkel stellen den vorläufigen Abschluss dar. Nun, was die Ente angeht ist mein Gaumen verwöhnt und die Challansente aus Schwekendieks Küche ist halt einfach nicht zu toppen. 
Zum Spanferkel habe ich eigentlich keine Meinung, da ich grundsätzlich nicht der Schweinefleischesser bin und hierzu habe ich daher auch keinen Vergleich. Es folgen noch zwei Rohproduktpräsentationen. Roher Tiefkühlhummer und St.Pierre aus der Tiefkühlbevorratung. Achim Schwekendiek, der die französische Küche schätzt und praktiziert sagte neulich in einem Interview, dass gerne noch länger in Frankreich geblieben wäre. Ich kann zwar nur raten, denke mich aber, dass Tiefkühlhummer in seiner Küche keinen Einzug halten wird. Trotz Bevorratungsmöglichkeit, sofortiger und humaner Tötung noch am Ort des Fangs und optimalen Verarbeitungsbedingungen des rohen Tieres ist er im Herzen doch zu sehr Franzose. Mich persönlich hat der Verkaufleiter mit dem Rohhummer durch aus überzeugt und geschmacklich gibt es auch nichts zu wollen. Den St.Pierre beurteilen alle als sehr gut - für einen Tiefkühlfisch!


Im dunklen hat der Tag begonnen und im dunklen wird der Tag enden. Die Sonne ist am untergehen. Verbleibende Fahrtzeit noch zirka eine Stunde. Zurück auf den Parkplatz eines großen Möbelhauses, wo noch mein Auto steht. Dann ab nach Hause und Gassigehen mit dem Köter. Danach lange, lange duschen. 

Montag, 15. November 2010

42. Und sie haben Hunger!

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Wer sich nicht in die Ehe und die Gesellschaft seiner Familie flüchtet landet irgendwann am Stammtisch. Man kann es auch vornehmer ausdrücken und nennt das ganze Vereinsleben oder Clubtreffen. Clubmitglied zu sein ist cool. Klingt bloß nach weniger Saufen, was man leider nicht nachprüfen kann, da es sich wie gesagt um einen Mitgliederkreis mit eingeschränktem Zugang handelt. Die Wichtigen nennen sich dann Lions, die noch wichtigeren Rotarier, der Bund freischaffender Künstler sind die richtig armen Schweine und dann gibt es da neben vielen anderen Beispielen noch die Vereinigung der Jeunes Restaurateurs -Topnachwuchsköche. Wer hier dazu gehört ist hip. Wer hier dazu gehört ist angesagt und hat es geschafft. Und meistens lässt der Sterneregen auch nicht lange auf sich warten. Wer dazu auch noch charmant und gutaussehend ist und den nötigen Öffentlichkeitsdrang besitzt wird Werbeträger und gibt sein Gesicht für Formschinken und Würzmittelpasten namhafter Lebensmittelproduzenten her. Nebenbei bemerkt gibt es diese Vereinigung schon so lange, dass die damals jungen noch immer zu den "Jeunes" gehören, auch wenn Sie schon weit jenseits der vierzig sind. Aber wie heißt es so schön, man ist immer so jung, wie man sich fühlt. Was mich betrifft hätte ich ja nie gedacht, dass ich jemals in die Nähe dieser Leute komme. Und dann ganz plötzlich stand ich im Frühjahr diesen Jahres in Achim Schwekendieks Gourmetküche. Ich habe gelernt, was es heißt die typischen Geschmacksnoten aus Lebensmitteln herauszukitzeln, geschmackliche Achterbahnfahrten zu erleben und das gute vom bösen Lebensmittel zu unterscheiden. Achims plötzliche Einladung haute mich um, als er mich diesen Herbst bat seine Küchenbrigade als Gastkoch, anlässlich der Tagung der Jeunes Restaurateurs im Schlosshotel, zu unterstützen. 
Achtundvierzig Stunden Superhappening mit Champagner satt und kulinarischen Spitzfindigkeiten, die einem schier den Atem rauben. Muss ich erwähnen, dass ich keine Bedenkzeit benötigte? Wenn Achim ruft, wird der Kalender umgeschrieben. Dann hat eine Woche auch schon mal acht Tage. Was genau mich jetzt qualifiziert hinterfrage ich besser nicht. 

Kaum den Fuß ins Hotel gesetzt kommen schon die ersten Seitenhiebe: "Na schon Bluthochdruck? Das Haus voller Sterneköche?!". Ertappt. Eine gewisse Aufregung war nicht von der Hand zu weisen. Mit meiner „Meisterschule“ der Jeunes betrete ich die Küche, bereit wie ein Groupie mit Buch und wasserfestem Stift bewaffnet jeden Meisterkoch anzuspringen, um später lange noch von dieser Erfahrung mit den ganz Großen zehren zu können. Aber bis zu deren Eintreffen soll noch viel viel Zeit vergehen. Zur Begrüßung säbele ich mir erst mal mit der Schneidemaschine einen tiefen Schnitt in das Daumengelenk, was prompt durch einen sprudelnden roten Quell quittiert wird. Pflaster drauf, ein bisschen Druck und weiter geht's. Ananas in hauchdünne Scheiben schneiden, ausstechen und in einem asiatischen Fond einlegen. Die restlichen Abschnitte wandern nicht gar in den Abfall, sondern werden bitte schön fein gewürfelt zwecks weiterer Verwendung, die noch nicht genau feststeht. Apropos fein würfeln. Bis zum frühen Nachmittag mache ich nichts anderes, als zu würfeln. Nach den Ananas sind es Zuckerschoten, nach den Zuckerschoten Schalotten. Danach kann ich meine rechte Hand nicht mehr ruhig halten, ohne dass diese noch immer die Bewegung des wiegenden Messers fortsetzt. An der Stelle wo der Zeigefinger auf dem Messergriff aufliegt hat sich eine verhornte druckempfindliche Stelle gebildet. Ich liebe diesen Job. 

Am ersten Tag wartet die Küche mit einer Vielzahl an kleinen leckeren und raffinierten Portiönchen im Rahmen einer Küchenparty auf. Dazu wurden bunte Strahler und Schwarzlicht in der Küche installiert. Dazu Musik von Tiger Tom Jones. Die Wände des Restaurants sind grün, das Licht in der Küche rot. Das Schwarzlicht sorgt dafür, dass man überhaupt kein Farbempfinden mehr besitzt und man unter ständiger Hypnose ist. Dann gehen die Türen auf. Ungefähr sechzig Personen, die „Chefkoch Haute Volée“ mit Ihren Damen, Sponsoren und grob zusammengefasst - den Sonstigen. 
Einigen hungrigen Damen geht es nicht schnell genug. Sie ziehen uns bereits die Teller weg, noch bevor diese fertig angerichtet sind. Das Beste liefert jedoch ein Zweisternekoch, der zu späterer Stunde, ganz angetan von den ihm kredenzten Speisen und Getränken zu uns in die Küche kommt, sich einen Löffel schnappt und einmal hier in einen Schaum eintaucht, dort an einer Jus nippt, sich fluchs ein Stück St. Pierre vom Tablett mopst und wohlwollend seiner Entzückung über die gelungenen Komponenten freien Lauf läßt. Es ist in jedem Fall einen Schmunzler Wert. 
Kurz vorher habe ich mich wie ein Stalker mit meinem Kochbuch auf dem Weg durch das Restaurant gemacht, auf der Suche nach all den an diesem Werke Beteiligten, die ich allerdings weder kannte noch anhand der Portraitfotos im Buch zuordnen konnte. Der Einfachheit halber quatschte ich einfach jeden an und ließ mir mein Buch signieren. 
Für einen weiteren Lacher wird gesorgt, als man dem TV-Bouillonkönig eine Packung mit Instanthühnerbrühe vor die Nase stellt, gerade in dem Moment als dieser genüsslich in ein Bigorre-Schweinescheibchen biss. Das hat zwar etwas von „Insider“, aber es saß. 

Der Hunger ist gestillt, der Durst noch lange nicht. Der Rittersaal rockt und wir aus der Küche ziehen uns mit den letzten noch offenen Flaschen Champagner in die Kantine zurück. Mit reichlich Schwatzalkohol trank nun noch man ein Glas - und noch ein Glas - und noch ein Glas. Wann die Party endete weiß niemand mehr so genau. Man munkelt, der Küchenchef habe sich gemeinsam mit dem Wächter des Weinkellerschlüssels noch zu später Stunde als Klaviertransporteur versucht und sich angeblich hierbei den Fuß gebrochen. (Tage später bekomme ich noch die Rückversicherung aus erster Hand, dass dem nicht so gewesen sei.)

Nach nur fünf Stunden Schlaf schlage ich erschrocken die Augen auf. Die Luft im Zimmer steht. Der auf dem Nachbargrundstück angesiedelte landwirtschaftliche Betrieb hat just an diesem Morgen seine Gülletore geöffnet. Der stechende Geruch treibt einem die Tränen in die Augen. Duschen, Anziehen und nix wie rüber in die Küche. Das Duschen im Schloss ist ja ein Erlebnis für sich, das sei noch kurz erwähnt. Die haben da diese Regenwaldbrauseköpfe, die einfach nur rundum wohl machen. Als ich in die Küche komme ist Marcel schon da. Schläft der Junge eigentlich nie? Der muss ja noch weniger Schlaf als ich bekommen haben. Aber wer mit Leib und Seele Koch ist, der braucht keinen Schlaf und ist mit seinem Arbeitsplatz verheiratet. 
Nach dem ersten Kaffee und dem Austausch dunkler Gerüchte was sich am Vorabend noch so alles abgespielt habe machte man sich an die Beseitigung der hinterlassener Spuren, die die Serviceleute spät im Schatten der Nacht in der Küche hinterließen. Anschließend heißt es Vorbereitungen für das große Galamenü treffen, für die Großen unter den Größten. 
Nach gestrigem Zwiebelschneiden, Ananaswürfeln, Lauchputzen, Zuckerschotenhacken und Püreekochen ist heute Fleischverarbeitung in größerem Stile an der Tagesordnung. Ich bereite an die 100 Portionen Maispoularden zu, von denen offensichtlich nicht alle Mais gefrühstückt hatten. Etliche Rehrücken müssen ausgelöst und pariert werden. Und wieder eine Schlüsselerfahrung. Um Rehrücken zu parieren benötigt man ein Messer mit gerader und starrer Klinge, so lassen sich die Sehnen mehr oder weniger direkt in einem Rutsch abtrennen. Das wusste ich nicht und murkse lange mit meinem Ausbeiner rum. Und dann sind da noch Scholle, Scholle, Scholle. Die Finger stinken noch jetzt nach Fisch, aber die Filets sind nahezu perfekt geraten. 
Servicebeginn. Es wird ernst. Auch „Chef“ ist merklich angespannt. Es geht immer etwas schief. Die Kunst besteht nur darin, dass niemand merkt, was es ist. Letztlich bestimmen drei von 12 Leuten über Gelingen oder Misslingen dieses Abends und das sind Chef, Hannah und Marcel. Ich denke alle anderen, mich eingeschlossen, sind stolz an solch einem Abend teil der Brigade sein zu dürfen. Nach dem Dessert löst sich die Spannung bei allen merklich. Schaulaufen der Service- und Küchenbrigade. Standing Ovation, der nicht enden will. Schon cool. Ist nur etwas dumm gelaufen, da wir uns wie Orgelpfeifen aufstellen sollten und so war ich der Dritte in der Reihe. Einer Reihe, die nichts mit der wirklichen Rangordnung zu tun hat. 
Für den krönenden Abschluss des Abends sorgt dann ein Azubi, der sich beim Abtransport des ganzen Drecks eine ganze Ladung Schokoladenschaumsoße über die Jacke gießt. 

Die zwei Tage waren der Kracher. Ich war wieder einmal völlig in meinem Element. Wieder in der Routine beim Schnippeln, zerlegen, parieren, klopfen und panieren. Das bereitet mich perfekt auf das Weihnachtsmenü vor, dass ich dieses Jahr Eltern, Geschwister und Freunden der Familie in gelernter Manier servieren werde; und sie werden Hunger haben.

Samstag, 21. August 2010

41. Gastronomischer Sachverstand.

"Der französische Meisterkoch Bernard Loiseau, der persönlich mit Paul Bocuse bekannt war ist tot. Der 52-jährige erschoss sich am 25.02.2003 mit einem Jagdgewehr, so ein Beitrag aus www.netzeitung.de. Darin heißt es weiter als mögliches Motiv, dass er die Herabstufung des Gault Milau von 19 auf 17 Punkte nicht verkraftet haben soll. Von einem Verlust seiner  3 Michelinsterne sei allerdings zu keiner Zeit die Rede gewesen. "
Kaum ein anderer Berufszweig steht so im Auge der Öffentlichkeit, wie der der Köche und Restaurateure. Jedes noch so kleine Szeneblatt spricht Restaurantempfehlungen aus und entscheidet mit über das Bestehen oder den Untergang eines Restaurants oder Bistros. Ich spreche bei weitem nicht nur von der Spitzengastronomie, sondern gleichermaßen von dem netten Bistro an der Ecke, welches in einem Monat hochgelobt und schon im nächsten in den Boden gerammt wird. Für den Gastronomen geht es hier ums Überleben. Reich werden nur die wenigsten. Ein Kratzer am Image ist oft schlimmer zu ertragen, als gut vertuschte Inkompetenz. Wieviel gastronomischer Sachverstand ist also von Nöten? Und wieviel gastronomischen Sachverstand bringen Redakteure von einfachen Blättchen oder renommierten Verlagen mit?

Ich kenne eine Redakteurin eines Stadtmagazins, die stets die Nase voll hat und deren Lob oder Kritik von der Anzeigenleistungsbereitschaft des Gastronomen abhängt. Ob Sie wohl weiß, was eine "Jus" ist oder eine "Velouté", was ist "confit de canard" oder ganz simpel "Vichykarotten"? - Ich glaube sie weiß es nicht.  

Auf der anderen Seite ist mir aber auch ein Herzblutgastronom bekannt, der bedauerlicher Weise im Schatten eines großen Meisters steht. Es spielt für diesen auch keine Rolle, dass der Restaurationsbetrieb Teil einer spitzengastronomischen Anlage ist. So ist dieser Koch höchstpersönlich und zutiefst auf das persönlichste getroffen, als öffentlich bekannt wurde, dass dieser Fleischproukte vakuumiert einkauft. Und wir sprechen hier nach wie vor von Spitzenqualität. Reibereien sind nun mal vorprogrammiert, wenn sich die Köche des zünftigen Hausrestaurants mit denen aus dem Gourmetrestaurant den Personalraum teilen. Wie naiv kann man denn sein? - Menschen reden!

Wir können nur hoffen, dass hier nicht eines Tages der Loiseaueffekt eintritt. 

Ach Überings, kennen Sie nur einen Tischler, einen Elektriker oder gar Automechatroniker, deren Arbeit alljährlich auf Herz und Nieren geprüft, subjektiv bewertet und in einem Nachschlagewerk mit einem, zwei oder gar drei Schraubenschlüssel bewertet wird? Tja Baby, kochen ist Krieg!

Samstag, 31. Juli 2010

40. Ein lachendes, ein weinendes Auge

Ich hatte zwar nie meinen eigenen Spind, doch solange ich in der Gourmetküche am wirbeln war nutzte ich immer den gleichen Platz, an dem ich meine Sachen verstaute. Nun heißt es allerdings Abschied nehmen, schlimmer noch die regulären Pflichten wieder wahrnehmen. Betretenes Schweigen in der Küche. Monsieur le Gardemanger schaut verstohlen über seine Schulter während ich meine Sachen aus der Schublade räume, die ich mir mit der Postenköchin am Entremetier die ganze Zeit geteilt habe. Einige Messer, die scheinbar keinen Herren mehr haben wurden ebenfalls in meine Obhut übergeben. Normaler weise dröhnte um diese Zeit immer laut Musik durch die Küche, doch heute herrschte Stille. Aus der Patisserie klappert es und das monotone Rühren der Küchenmaschine dringt dumpf an meine Ohren. Vermutlich hat die Azubine wieder Angst nicht rechtzeitig mit Hippen, Schichtkuchen, Cremes, Tartes und Sorbets fertig zu werden.  Ein letztes Mal drückt mich Hannah an sich und meinte: "Lass Dich mal wieder hier blicken." "Das werd ich, wenn ich darf." Vom Küchenchef, den wir alle nur kurz 'Chef' nennen ein lässiges Schulterzucken, dass aber irgendwie mit einem Augenzwinkern verbunden war. "Immer wieder gerne." raunzt er in seiner bescheidenen und fast schon schüchternen Art. Das ehrt mich sehr, scheinbar habe ich wohl doch nicht zu viel durcheinander gebracht oder falsch gemacht. 

Wie es für einen solchen Tag gehört regnete es leicht. Auf dem Rückweg hielt ich kurz bei Freunden, die sich in dieser Zeit um meinen Hund gekümmert haben. Während der Fahrt nach Hause kreisten meine Gedanken um all die schönen Erfahrungen die ich während des Praktikums gemacht hatte. Ich dachte an Marcel, der sich immer wieder neue abenteuerliche Amuse Gueule ausdachte und dafür Lob, Zustimmung und manchmal ein verständnisloses Lächeln vom Chef erntete. Ich dachte an Hannah, die mich Kiloweise Pfifferlinge putzen und Erbsen pulen ließ. 
Ich dachte an Aljoscha, der uns schon früh morgens mit Deutschreggae in einer Endlosschleife beglückte und ich dachte an Annett, die mit Ihrer unkonventionellen Art – ein absolutes Original - für gute Stimmung in der Küche sorgte und ihrem Service die ganz besondere Note gab. Chef Schwekendiek versteht es auf eine einzigartige Weise einen Zusammenhalt in seiner Küche zu schaffen, so dass man das Gefühl bekommt, man gehört für immer dort hin und möchte nie wieder dort weg. 

Für mich aber bricht nun eine Zeit an, in der ich zunächst meine Arbeit wieder mit einhundert Prozent Power ausüben muss.  Und selbstverständlich werde ich keine Chance ungenutzt lassen, Auberginen und Zuccini in Form zubringen, Kartoffelpüree mit dem Spritzbeutel aufzutragen, mit einem Mokkalöffel Nocken aus Tomatenkonfitüre und Vanillekarottenpüree zu formen, Fleisch und Fisch zu zerlegen, Entenschlegel zu konfieren und immer wieder Gäste mit kulinarischen Kreationen zu überraschen. Und dann und wann, wenn ich es gar nicht mehr aushalte, setze ich mich ins Auto, ziehe meine Kochjacke wieder über und geselle mich zu Achim und seinem Team in die Gourmetküche im Schlosshotel Münchhausen.

Montag, 26. Juli 2010

39. Der Tag der toten Tiere

"Es wird Zeit, dass du echtes Fleisch in die Finger bekommst." Dienstag ist Liefertag. Frische Hummer, lebend geliefert. Blutenten mit Kopf und allem dran. Rehrücken, selbstverständlich im Ganzen und zig verschiedene Fischsorten. 
"Heute Abend weißt du wie man ausbeint!" raunzt mir der Saucier zu. Schadenfrohes Lachen vom Entremetier: "Das ist schon was anderes als Zucchini in millimetergroße Würfel zu schneiden!" Gekichere vom Service, der dienstags immer die Silberwaren zu polieren hat. Was soll's. Ich bin ein Mann und ich werde totes Tier in Nahrungsmittel verwandeln. Und schon gar nicht werde ich mir die Blöße geben, Hemmungen zuzugeben Enten bäuchlings aufzuschlitzen. Es ist wie Achterbahn fahren. Wenn man erstmal drin sitzt, gibt es kein Entkommen mehr. Und das Gefühl im Magen wenn man das erste Mal hinunter saust dürfte auch allen bekannt sein. So geht es heute den ganzen Tag. 

Mit zielsicherem Schnitt saust das Messer meines Lehrers am Brustbein entlang. Mit zwei weiteren Schnitten hat er die erste Brust ausgelöst. Gleiches auf der anderen Seite. Die Schneide fährt einmal um den Schenkel, dann wird mit gekonnter Handbewegung die Keule ausgekugelt und anschließend mit dem "Ausbeiner" sauber abgetrennt. Der Rest wandert in die Tonne. Zu viel Fett. "Jetzt du! Und das mir ja kein Fleisch am Knochen verbleibt." "Jawoll." (Übrigens ein Standardkommando in der Küche; dieses "Jawoll.")

Mit der Zeit, kommt die Übung und mit der Übung die Routine. Die Finger kleben. Es riecht nach rohem Fleisch. Das Blut der Enten wandert unter die Fingernägel. Die Nase juckt. Keine Hand frei. Blutenten, heißen so, weil diese statt geschlachtet erwürgt werden und das Blut im Fleisch verbleibt. Diese Tatsache macht die Arbeit mit dem Rohstoff nicht weniger aufregend. Nach nur einer Stunde sieht meine Schürze aus, als hätte ich in "Psycho I" bis "Psycho III" mitgespielt. Nach den Enten geht es an die Rehrücken, den Ochsen und das Lamm. Fleisch muss nach dem Schlachten reifen; etliche Tage oder gar Wochen. Das rohe Fleisch nimmt so an Aroma und Geschmack zu. Und das riecht man - nichts für empfindliche Nasen. 

Man kann sich einen Rehrücken so vorstellen, als sei das Tier gevierteilt worden. Vor einem liegt die Wirbelsäule, an der die Rippenknochen hängen. Und dort liegen jeweils die Filetzöpfe und Rückenstücke fein eingebettet. Und diese gilt es ohne jeglichen Verlust herauszulösen. Eine knifflige Arbeit. Nach vier Stunden ziehe ich ein Gesicht, als hätte sich dauerhaft eine Zitrone unter meiner Zunge eingelagert. Pause gehört mit zum Spiel und so geht man Rauchen und Kaffeetrinken. Mich zieht es an die frische Luft.

Es folgen Krustentiere und das Meeresgetier. Der riesige Topf mit sprudelndem Wasser steht schon auf dem Herd. Zwei große Styroporkisten, in denen es krabbelt und schabt und Fühler hektisch hin und her wedeln lassen erahnen was nun kommt. Hummer töten! Mittlerweile fährt mein Magen den Achterbahnparcours rückwärts. Okay, da muss ich jetzt durch, denn schließlich wollte ich es so. Immer drei Hummer auf einmal, damit das Wasser nicht zu schnell runterkühlt. Das kochende Wasser tötet das Tier. Es gibt wohl auch noch andere Tötungsmethoden, jedoch sind diese ebenfalls umstritten, da es einer wirklich fachmännischen Hand bedarf mit einem wohl gesetzten Stich zwischen die Augen das Tier sofort zu töten. Sobald das Getier im Wasser eingetaucht ist, schließe ich den Topf sofort mit einem Deckel. Die Vorstellung, wie die Hummer noch etliche Sekunden im heißen Wasser umher krabbeln versuche ich weitestgehend zu verbannen. Keine Zeit und keinen Platz für Sentimentalitäten. Ich bin an einem Punkt, an dem ich die Härte des Geschäfts erfahre. Nach dem Abkochen werden die Zangen ausgebrochen, der Kopf abgedreht und das Schwanzfleisch ausgelöst. An diesem Punkt ist die Erinnerung an das eben noch krabbelnde Tier nahezu verflogen. Aus den Schalen setzen wir später einen Fond auf. Aus Seeteufel, Steinbutt und St. Pierre schneiden wir Filets. Aus den Karkassen kochen wir später Fonds. Mir hat natürlich keiner gesagt, dass der Sankt Petersfisch giftige Stacheln hat und dass man, bevor man beginnt die Filets herauszuschneiden, die Flossen und Stacheln mit einer Schere abschneiden sollte. Merci.

Keine Ahnung welche Mixtur an Gestank ich mittlerweile an mir trage, aber es muss mörderisch sein. Das Ganze bei sechsunddreißig Grad im Freien und gefühlten fünfundvierzig in der Küche. Mit dem Zerlegen des toten Fleisches bin ich fertig. Der Kaffee schmeckt nach Fisch und mein Geruchssinn ist wie betäubt. "So, Butcher" wie der Saucier mich scherzeshalber nennt, "aus den Resten setzen wir nun Fonds an!" Mit einem Küchenbeil sind nun Eimerweise Geflügelkarkassen, das sind die übrig gebliebenen Knochengerippe, die Rehrückenreste und die Fischgerippe in kleine feine Stücke zu zerhacken. Ich dachte ich wäre durch für heute, aber die Arbeit die nun folgt setzt allem noch eins drauf. Die Knochen splittern, Blut- und Fleischreste spritzen durch die Gegend und das krachende Geräusch brechender Knochen bleibt einem nachhaltig im Kopf. Nach nur einer halben Stunde bin ich von der Kinnlinie bis runter zu meinen Knien über und über mit roten Punkten gesprenkelt. Gegen siebzehn Uhr simmern endlich die Fonds und ich habe endgültig für heute die Schnauze voll. Um achtzehn Uhr beginnt der Service, gegen dreiundzwanzig Uhr geht's endlich heim.

Ich sitze draußen auf der Terrasse, in der linken Hand ein Bier. An meiner rechten Seite hat sich mein Hund eingerollt und vergräbt seinen Kopf tief in meinem Schoß. Mit den mir heute vermittelten anatomischen Kenntnissen taste ich wohlwollend den Rücken des Tieres ab. Ich fürchte ich kann einfach nicht abschalten und bin froh, dass mein Hund lebt.

Montag, 28. Juni 2010

38. Abschlussprüfung IHK

Nach nur sechs Monaten - völlig absurd. Falls irgendjemand denkt es handelt sich um mich, der täuscht sich.


Claudia, eine Freundin die in der Verwaltung eines benachbarten Landkreises arbeitet, hatte das zweifelhafte Vergnügen ihren Landrat bei der IHK- Abschlussprüfung der Köche und Gastronomiefachleute bei deren Schaukochen zu vertreten. Um dort nicht alleine erscheinen zu müssen, lud sich mich kurzerhand ein sie zu begleiten. Sie wusste von meiner jüngst erwachten Kochleidenschaft und meinte das könne mich bestimmt interessieren. Und ob. Zu melden hätte ich nix und gegessen würde, was auf den Tisch kommt. Ich bin dabei.


Drei Tage später hole ich sie ab und wir fahren zur Berufsfachschule für Köche und Gastronomiefachleute des benachbarten Landkreises. Das Schulgebäude, gleich welcher Art und welchen Alters, einem automatisch ein schlechtes Gewissen einhauchen und sich das Gefühl einschleicht, man hätte etwas angestellt oder wenigstens die Hausaufgaben vergessen, ist für mich unerklärlich. Nach einer kurzen Begrüßung werden wir in den Gastraum geführt, der noch immer den Charme der achtziger Jahre versprüht. Zum Ablauf: Sechs Köche bekochen sechs Tische, an denen jeweils sechs Gäste sitzen die von je zwei Kellnern bewirtet werden. Prüfungsstress pur. Als Gast hat man darauf zu achten es den Prüflingen nicht zu schwer zu machen, sich im Weinkonsum zurückzuhalten und nach Möglichkeit seine Meinung über die Leistungen der Prüflinge für sich zu behalten. Sechs Köche aus sechs Ausbildungsbetrieben der Region. Krankenhaus bis Gourmet, es ist alles dabei. Das Lotteriespiel beginnt. Freie Sitzwahl. Wer für wen kocht wird erst am Ende verraten und so nehmen wir Platz. Der Prüfling erhält einen sogenannten Warenkorb vier bis sechs Wochen vor der Prüfung. Dieser enthält regionale und saisonale Waren. Daraus ist ein Dreigangmenü, bestehend aus Vorspeise, Hauptspeise und Dessert zuzubereiten. Mögen die Spiele beginnen.
Unsere Serviceleute sind fit. Die Menüvorstellung läuft rund. Die Weinempfehlung passt, die Servicekräfte souverän. Claudia und ich lassen den nötigen Ernst missen. Der erste Gang – wie einfallsreich - Spargelcremsuppe. Erste Einschätzung: die Plörre ist zu dick. Ich glaube der Koch hat zudem vergessen die Spargeleinlage zu schneiden. Die nahezu ganzen Stangen lassen sich nur schwer mit dem Löffel in den Mund balancieren. Die kleinen schwarzen Punkte lassen darauf schließen, dass es sich um eine Spargelcremesuppe à la Brandenburg handelt; Fachjargon für angebrannt. Der Hauptgang: Fleisch an der Keule mit tourniertem Gemüse und Herzoginkartoffeln. Der Kellner hat seine liebe Not mit dem Brocken. Der Koch hat es sich einfach damit gemacht das Fleisch am Knochen zu garen. Keine weitere Arbeit. Die tournierten bzw. geschnitzten Gemüse lassen die nötige Feinheit vermissen. Kohlrabi in Form von Sichelmonden fand ich besonders innovativ. Die gespritzte Kartoffelmasse viel zu groß und innen noch pappig. Sättigung und Völlegefühl garantiert. Das Paar, das uns gegenüber sitzt ist hingerissen und steigert ihr Entzücken von Gang zu Gang. Als die Erdbeercreme, in die - wahrscheinlich mit einem Zahnstocher - kunstvolle Erdbeerschmierereien eingearbeitet worden sind, auf einem blauen Glasteller serviert wird, kann selbst die an unserem Tisch sitzende Prüferin nicht mehr an sich halten und meint trocken:" Irgendwie langweilig, finden sie nicht?" Wie mir Eingangs angeraten wurde, behalte ich meine Meinung für mich.
Unter tosendem Beifall treten nach Abschluss der Präsentation die Köche aus der Küche. Als hätte ich es geahnt, haben wir tatsächlich den Koch erwischt, der seine Ausbildung im hiesigen Krankhaus zum Abschluss bringen möchte. Außer Tüten aufreißen hat er nicht viel gelernt, so wie er selbst seine Kochkünste beschreibt.
Claudia und ich beschließen auf der Heimfahrt kurz einzukehren und noch einen Magenbitter zu uns zu nehmen.